theatercombinat | 1/1999 – 12/2000 massakermykene «orestie» aischylos, «fatzer-fragment» bertolt brecht, 2 jahre proben, 15 veröffentlichungen zwischen 36 minuten und 36 stunden dauer im schlachthof st. marx, wien (a)
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theatercombinat
MassakerMykene
Material 5
"Das Eintreten der Literalisten für die Objekthaftigkeit bedeutet nichts anderes als ein Plädoyer für eine neue Art von Theater, und Theater ist heute die Negation von Kunst."
Michael Fried, Kunst und Objekthaftigkeit (1968), in: Gregor Stemmrich (Hg.) Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, Dresden/Basel 1992, S.342
In einem Theater, das sich als Prozeß/ Situation zeigt, nicht als Werk, ist der Zuschauer nie nur Konsument, immer auch (Aktions-)Potential dieses Theaters.
Demgegenüber ist der Spieler nicht nur Produzent, sondern auch und zugleich Rezipient: er rezipiert den Zuschauer, seine Präsenz, sein Tun und Lassen. Und dies wiederum hat Einfluß auf das Agieren - im Idealfall - beider: der Zuschauer und der Spieler.
Der Schlachthof konfrontiert Zuschauer und Publikum auf besondere Weise miteinander: es gibt keinen Zuschauerraum, in den sich das Publikum zurückziehen könnte, es gibt keinen Aktionsraum, der für den Zuschauer unzugänglich wäre...
MassakerMykene Material 5 veröffentlicht Auszüge aus Gesprächen und Interviews mit Zuschauern. MassakerMykene Material 6 wird einen Einblick in unsere Überlegungen zum Zuschauer geben.
MassakerMykene Material 4 war geplant als Bericht und Diskussion einer "öffentlichen Probe" auf dem Ballhausplatz in Wien am Tag nach der Angelobung der neuen schwarzblauen Regierung. Wir haben es zurückgehalten, weil unser Feldwechsel - von der "Ästhetik" zur "Politik" in dieser - praktischen und diskursiven - Form Fragen aufgeworfen hatte, deren Diskussion unserem eigenen Anspruch zu diesem Zeitpunkt nicht genügte. Angesichts der Schwierigkeit einer wirklich guten Beschreibung der "Aktion" selbst mußte die anschließende spontane Diskussion wie ein Anhängen an den momentan angesagten Feldwechsel so mancher Kulturschaffender in Österreich erscheinen. Das war's uns nicht wert.
befragung von zuschauern
a) stephan hilpold
1. mal zugeschaut am 27.02.00, 14- 24 uhr, anwesenheit 14- ca. 17 uhr
in männlicher begleitung
auf die frage, ob er eigene wahrnehmungsphasen des geschehens beschreiben könnte:
da er wusste, dass diese veröffentlichung auf 10 stunden angesetzt war, gab er sich keine besondere mühe, wie sonst, wenn er ins theater geht und darüber schreiben soll, voll einzusteigen und entschied sich, auch privaten gesprächen raum zu lassen.
da er durch das material informiert war, entschloss er sich zu einem experiment mit seiner wahrnehmung, z.b. nicht seinen "staatstheaterrhythmus des sehens" anzuwenden. seine sehgewohnheit war jedoch nicht sofort "umswitchbar". im "stadttheaterrhythmus" hätte er 30- 60 min verloren während seiner 3 stunden anwesenheit durch "ausstiege". dies wolle er aber nicht der arbeit vorwerfen, dafür kenne er zu wenig, er würde damit der arbeit unrecht tun.
wahrnehmungsabfolge
- ca. 45 min grosse neugier
- danach ausstieg, währenddessen versicherung der eigenen präsenz und situierung im raum
- danach phase, sich im spiel der schauspieler zu orientieren, spielmuster zu erkennen und einzuordnen
- ausstieg
- wieder einstieg, atmosphärische wahrnehmung, geräusche der autobahn zum geschehen, schönheit des lichts,
im folgenden ständiger wechsel von ein- und ausstiegen
b) katharina kovacic
1. mal am 12.12.99 12 - 16.30 uhr (orestie + fatzer), anwesenheit 12- 15 uhr
2. mal am 27.02.00 14 - 24 uhr (fatzer), anwesenheit 15- 17.30 uhr
beide male allein gekommen. kennt mich, aber kein textmaterial
beim 1. mal bei raumwechseln entstand immer die frage für sie: soll ich mitgehen? raum und textwechsel für sie zäher. beim 2. mal ging sie automatisch mit, durch den ersten besuch hatte sie ein wissen, das ihr die freiheit gab, schnell in das geschehen mit einzusteigen, bei ihrem ersten besuch hingegen blieb sie länger ausserhalb des geschehens, dann habe sie nach einiger zeit ihre scheu verloren und sich "reingetraut", z.b. "ich stelle mich hin wo gesprochen wird". am 27.02. hatte sie den eindruck auch die zuschauer bewegen sich wie in einer choreographie, die zuschauer haben ihren platz. für sie war es interessant, dass sie immer ihrem instinkt gefolgt sei auf der suche nach dem für sie jeweils richtigen platz, auf dem sie sich körperlich wohlfühlt. die fragmentwechsel und die deplazierungen der schauspieler kamen ihr mehr wie in einem raum vor, oder sie konnte sich sicher sein, die spieler würden zurückkommen. im vergleich zu ihrem ersten besuch hatte sie weniger den eindruck von zurückzulegenden wegen als den eindruck von platzveränderungen innerhalb eines raumes. sie war überrascht von einigen schnellen wechseln, folgte dann wie geführt, wie wenn sie da von sich aus hin müsse. sie hatte weniger das gefühl, einem geschehen hinterherlaufen zu müssen.
sie beschreibt einen moment der wiederholung eines fragmentes (ich denke sie meint b 33: "[...] standet ihr da und hattet eure muskeln in der hand? [...]"), nachdem text gesprochen wurde spürte sie, dass jeder, auch die zuschauer, jetzt etwas machen müssten, weil jedem dazu soviel einfiele, das sei spürbar gewesen. dann wurde der text von den spielern wiederholt und dieser moment war vorbei.
danach ging sie ins teehaus und sah dort georg danek, sie nennt ihn den könig (am 12.12.99 sass georg danek auf einem grünen sofa, ausserhalb der halle, aber gut sichtbar, auf einem kieshaufen vis-à-vis der autobahn und las während der 270 minuten veröffentlichung die orestie auf altgriechisch). sie wollte ihn nicht teetrinkend im teehaus sehen und ihn deutsch reden hören. "das ist der könig vom berg und soll es bleiben!"
die kostüme fände sie toll, ihre farben. eigentlich seien es keine kostüme, sondern sie würden zu den menschen gehören. genau wie die menschen würden sich auch die kostüme in unterschiedlichen situationen verändern. das gleiche kostüm bekäme so verschiedene bedeutungen. sie seien flexibel.
sie fragte mich, ob das kostümteil abzulegen ein zeichen für den ausstieg einzelner spieler gewesen wäre. es gefiel ihr, da es sehr undramatisch war und der vorgang des ein- und ausstiegs so mitvollziehbar wurde, da man den unterschied der anwesenheit beobachten konnte.
da sie teil des geschehens war, beschreibt sie die möglichkeit für die zuschauer, etwas auszudrücken, ausgelöst durch das, was man sieht und hört.
ihr eindruck des letzten besuchs war, dass die zuschauer sich den zur verfügung gestellten raum genommen hätten und noch mehr nehmen müssten, damit fragen wie: "darf ich mich auf diesen sessel setzen?'' nicht mehr auftauchten.
als sie sich auf den sessel gesetzt hatte, wurde sie von den spielern direkt körperlich gemeint und deren ansprache zu ihr war direkt. sie hätte "mitgespielt". trotzdem behielt sie einen freiraum, da sie die spieler nicht ansprechen konnte, das wäre ihr klar gewesen. trotzdem sie mitgespielt habe, blieben die spieler zueinander "in ihrem ding drin", was sie für sie sehr angehm war, weil sie teil war und auch nicht, weil sie zuschauer war und somit in einer anderen ordnung und trotzdem in der gleichen situation. das sei ihr sehr klar geworden.
C.B.
Interview am 29.02.00 mit Beate Hecher, zum 16.01.00 und 27.02.00
M.K. Hast du den Schlachthof gleich gefunden?
B.H. Beim ersten Mal war es schwierig zu finden. Auch die Spielstätte innerhalb des Schlachthofareals war schwierig auffindbar. Die grünen Sofas waren eine Hilfe - und es wäre ganz gut, wenn es so etwas wie Wegweiser gäbe.
M.K. Wie fandest du die Aufführung vom 27.02.?
B.H. Den Beginn (Fatzerfragment A15) fand ich ziemlich kraftlos. Mit der Sprache wird der Raum geformt - das war aber am Anfang nicht der Fall. Der Zugang für den Zuschauer würde auch dadurch erleichtert, wenn man von einem Chorgefüge ausginge und erst dann die einzelnen Aktionen sich auf die Räumlichkeiten aufteilen. Man braucht überhaupt eine bestimmte Zeit, um dem Ganzen zu folgen. Deshalb fand ich es gut, daß die "Aufführung" länger gedauert hat als am 16.01. Überhaupt fand ich, daß im Gegensatz zu der "Aufführung" vom 27.02. am 16.01. alles etwas zu sehr gehetzt war. Es ergab sich für mich zu wenig Zeit, so daß sich etwas entwickelt. Aber das hatte vielleicht auch damit zu tun, daß damals sowohl die "Orestie" als auch "Fatzer" gezeigt wurden, und damit, daß ich das erste Mal, als ich am Schlachthof war, zusammen mit jemand anderem da war. Ich finde es schwierig, gemeinsam mit Bekannten in den Schlachthof zu gehen. Eigentlich müßte man als einzelner hinausgehen. Man fühlt sich so unabhängiger. Wenn man mit anderen Bekannten im Schlachthof ist, nimmt man den Alltag, Privates, mit hinein. Es sind ja die Spieler, zu denen man Bezug nimmt und nicht Dritte.
Insgesamt fand ich es aber am 27.02. sehr angenehm, daß so wenig Zuschauer da waren, weil man sich so bewußter bewegen kann, d.h. man hat mehr Respekt gegenüber dem Raum und gegenüber den Positionen, die ein Zuschauer jeweils im Raum einnimmt.
M.K. Wie war es für dich, als du den Schlachthof verlassen hast, hat sich für dich da was verändert?
B.H. Als ich vom Schlachthof zur U3 ging, wurden mir die Positionen der Menschen, die in der U-Bahn waren, ihr Gefüge mir gegenüber und untereinander deutlicher. Der Lageplan wurde für mich erkennbar. Das Bewußtsein hatte sich verschoben, man hatte eine andere Wahrnehmung. Durch das "In-die-Räume-mit-Spielern-Gehen" bekommt man ein anderes Zeit- und Raumgefühl. Daß die Spielenden den Raum und die Zeit bestimmen, wird erst mit laufender Dauer klarer.
M.K. Hattest du nie das Bedürfnis am 27.02. aus dem Schlachthof weg zu gehen und nach einer bestimmten Zeit wieder zurückzukommen?
B.H. Das Weggehen im Winter ist eine Entscheidung. Man geht und kommt nicht mehr zurück. Man bleibt im Winter solange einem nicht kalt ist. Im Sommer kann ich mir vorstellen, daß man was trinken geht und wieder zurückkommt.
M.K. Wie ging es dir mit dem Gesprochenen in den großen Hallen des Schlachthofes?
B.H. Für viele, die das Sprechtheater gewohnt sind, ist es sicher ein Problem, daß man nicht alles hört bzw. versteht. Für mich ist es auch kein Problem, das "Gemurmel" zu hören. Man bekommt im Schlachthof mehr die Bewegung im Raum, den Sound und dann nur Textfetzen mit. Durch die Sprache und die Bewegung der Akteure wird der Raum definiert. Aber auch die Positionen der Zuschauer treten dadurch deutlicher hervor. Durch die Wiederholung der Fragmente wird das Inhaltliche verstärkt, aber gleichzeitig geht das akustische Netz nicht verloren. Aber auch Momente der Ruhe sind sehr angenehm. Es ergibt sich so ein Gefühl der "Ruhe-in-sich". Der Alltag verschwindet. Man konzentriert sich im Moment der Ruhe nicht mehr auf einen Punkt hin, sondern auf den ganzen Raum.
Tanya Smutny im Gespräch mit T.S., 03.03.00
Wenn ich nur wenig Zeit habe, würde ich nie zum Schlachthof gehen, weil's ja sein kann, daß grad eine kreative Pause ist, wenn ich dann da bin, und was mach ich dann? (Ich nehm mir auch so immer meine Zeitung mit.) Ich schau, was ihr macht, dreh eine Runde...
Ich war noch nie am Beginn da; d.h. ich komm eigentlich immer, wenn's schon läuft; es kann also auch passieren, daß ich genau in einer Pause komm, oder daß abgebrochen wird...
Auf die Orestie kann ich mich z. B. nicht so lange konzentrieren; Orestie, wenn ich wirklich gut bin, eine Stunde; die Orestie ist doch nur Text; der Chor ist schwer zu verstehen; eigentlich sollt man den Inhalt auch kennen, der Orestie; das ist beim fatzer ganz anders; weil die einzelnen Textstücke aussagekräftig genug sind; man braucht den Kontext nicht; es ist möglich, bei fatzer unmittelbar zu assoziieren; das find ich gut.
Bei fatzer halt ich's schon lang aus...
Natürlich ist Konzentration nicht konstant vorhanden, das kommt natürlich auch auf die Improvisation an; wenn ihr eine halbe Stunde lang vier Sätze wiederholt, kann ich mir persönlich überlegen, wie ich drauf reagier; also: der Text bekommt durch die Wiederholung eine andere Bedeutung, was spannend ist, oder ich denke: jaja, ist schon gut, und beschäftige mich aus der Ferne damit, oder schau mir das Publikum an.
Daß du dich selbst in Beziehung setzt zum Text oder zum Raum, oder zu den Spielern?
Also erstens muß man davon ausgehen, daß ich mich total unverpflichtet fühl; d.h. ich werde nicht behandelt wie ein Publikum, und ich benehme mich auch nicht wie eins; ich zahl z.B. keinen Eintritt; und ich fühl mich eigentlich eh eher, als wäre ich, so wie's auch heißt, bei einer "öffentlichen Probe"; daß es eigentlich sekundär ist, ob ich jetzt da bin oder nicht; grad bei der Orestie: das ist wie Gruppentherapie; das interessiert euch, glaub ich, mehr als mich; deshalb weil ihr die Informationen habt und euch ja auch dauernd darüber unterhaltet, wer/was der Chor ist... ich hab die Infos nicht; aber das Ergebnis scheint mir viel uninteressanter zu sein, als der Vorgang, diesen Chor herstellen zu wollen. Wegen dem "unverpflichtet": ich hab, weil ich das Projekt schon länger kenn, einen mangelnden Respekt vor euch; d.h.: wenn's mir nicht paßt, dann zoll ich euch sicher weniger Aufmerksamkeit als einem mittelmäßigen Kammerstück; ich bin ja der Verpflichtung enthoben, wie ein braves Publikum zu sein; ich will auch nicht eingebaut werden. Mitzumachen seh ich als eine Gefahr: sich plötzlich "falsch" wichtig zu nehmen, sich gleichzustellen mit welchen, die das schon so lange trainieren... also: ich muß als Zuschauer nichts, ihr müßt mir auch nichts; deswegen streng ich mich manchmal gar nicht an, etwas zu verstehen, weil ich ja die Möglichkeit hab, einen kleinen Spaziergang zu machen, oder die optischen Eindrücke zu genießen, was ja viel einfacher ist. Und ich hab kein schlechtes Gewissen...
Für mich ist der Unterschied, ob ihr im Eck steht oder herumhüpft, gering; wenn ich den Text nicht versteh......ich glaub halt, daß der Chor seine natürlichen Grenzen hat; daß er vielleicht eigentlich etwas eher unbewegliches ist. Ich begreife ihn überparteilich, also ein Kommentar, der außerhalb von Zeit und Raum zu hören ist.
Er hat strikte Vorgaben, einen Menge schwierigen Text; Assoziationen zu einer Lateinstunde drängen sich mir auf; mein Problem: kein Bezug zum Text; toll wäre vielleicht ein Stummfilm: die fahren nach Troja, da der Sturm... und der Chor spricht... er kommentiert (sonst) eine Geschichte, die nicht existiert.
Ihr macht euch Arbeit - der Chor, der keine Handlung hat;
Verdammt riesiger Aufwand, mit Kurven und Zacken, die nicht dazu beitragen, das Stück besser zu machen.
Als Zuschauer bei der Orestie ist man hauptsächlich mit dem Verstehen des Textes beschäftigt.
Bei den ersten Probenbesuchen am Schlachthof (Mai, September...) war alles locker und spannend. Da hat man viel dezidierter gewußt, was da los ist: ihr wart noch grün hinter den Ohren; jetzt erwartet man sich schon was. In dem stört mich, daß z.B. der Schlachthof nicht vorkommt, ihr seht das viel zu losgelöst vom Schlachthof; dabei ist genau der auch eine bemerkenswerte Sache; viele die kommen sind vielleicht zum ersten mal auf dem Gelände...
Interessant war's auch immer dann, wenn man unmittelbar nachher einer Diskussion beiwohnen konnte; ich fände es überhaupt gut, öfter ganz rücksichtslos abzubrechen, zu besprechen, dann weiter zu arbeiten; wenn ich dann eine Spielerin reden höre "aber da und da....", dann erst kann ich die Dimensionen der Arbeit erkennen, das Komplexe und Komplizierte; das wäre ja dann wirklich abgeschminktes Theater.
T.S.
Gesprächsnotizen, Amadeus Maximilian Maria Narkowski mit D.U. am 05.03.2000
- Der Zuschauer sei klar in einer Rolle als ".Betrachter von Kunst.", Beobachter, nicht Akteur; ein Luxus aber sei allein schon, die Perspektive wählen zu können, indem man herumgehen kann.
- Ist an Theater orientiert, das die dramatische Handlung des (Buch-)Textes deklamiert und illustriert. Ein Zuschauer sei für diesen Vorgang nicht notwendig, beeinflusse diesen nicht, dennoch störe es ihn, wenn Zuschauer sich z.B. auf Sofas setzen, er sieht dies als Eingriff in unser Agieren.
- Man sei ".als Zuschauer so verloren, man kann niemanden was fragen, alle tun was", auf die Frage, ob er einen Zuschauer befragt hätte, ".der war genau so verlassen." Fragen z.B. nach Plot, Entstehungszeit Text, Geschichte der Arbeit, Mitwirkenden, Dramaturgie (wo zuerst aufgeführt, Materialien etc.)
- "Es ist so anstrengend manchmal, daß man Abstand nehmen muß. . Man schaut nur noch zu, macht sich keine Gedanken mehr, was das ist"
- "Es könnte auch so sein, daß Claudia einfach nur Schauspielerin ist, die Zahlen reinruft." (Bezüglich Fragmenteingaben)
- Raum als "Aktionsraum" ist "Innenraum" des Schlachthofs, Verwunderung, daß er sich nach Außen öffnet, als wir ins Freie ziehen. Sofas als Orientierungshilfe - werden als "Bühnenobjekte" begriffen, für die Akteure, er hätte sich daneben gestellt, um vom Blickwinkel des Sofas aus sehen zu können, war enttäuscht, als er dadurch nichts bestimmtes zu sehen bekam.
- Er sieht "Menschen, die versuchen ein ideales Ding zu bauen - Schönes, Wahres, Gutes - ".
- Er sieht "ideale Kommunikation, die für diesen Moment gelingt", intern, er (extern) kann sie nur manchmal verstehen, "momentweise".
- Er hat den Eindruck, wir wissen in jedem Moment genau, was wir machen, und was die Aktion des Anderen intendiert.
- Er sagt, er habe den Eindruck, etwas ganz Bedeutendem beizuwohnen, hätte ganz deutlich das Bewußtsein der Einzigartigkeit gegenüber "normalen" Theatererlebnissen (nannte Begriff "Underground").
Gespräch mit Georg Wendel, Robert Stuc, D.U., 06.03.2000
G.W. Ich war, glaube ich, drei oder viermal bei euren Veröffentlichungen. Einmal war's so kalt, daß ich überhaupt nichts mitgekriegt hab, weil ich eigentlich ständig heißen Tee in mich reingeschüttet hab, oder sonst irgendwie damit beschäftigt war, mich selber aufzuwärmen. Ich war einfach falsch angezogen.
D.U. Du warst bei der 10stündigen Veröffentlichung.
G.W. Das war super, da hab ich das erste Mal den Text auch akustisch verstanden. Ich hab ihn vielleicht auch nur deshalb verstanden, weil ich ihn ja zum Teil schon sehr gut kenn. Und Fatzer ist, glaube ich, ja auch irgendwie leichter zu verstehen als die Orestie. Deshalb war es mir zum ersten Mal möglich, den auch akustisch wahrzunehmen. Ob man dann auch inhaltlich was damit anfangen kann, bleibt natürlich dem einzelnen oder der einzelnen ZuhörerIn überlassen. Ich glaube es ist sehr schwer, man muß sich da seine eigenen Assoziationen zusammenbasteln.
D.U. Wieso konntest Du den Text besser wahrnehmen?
G.W. Weil ich diesmal mit dem Rad immer zu den Entsprechenden hingesaust bin und ihnen mein Ohr geliehen hab. Davor war's eben so, nur wenn zufällig irgendjemand Text vorgetragen hat, der in der Nähe gestanden ist, hat man eine Chance gehabt, das zu hören und zu verstehen. Wenn jemand am anderen Ende der Halle einen Text geschrien hat, dann heißt das ja durch die ganzen akustischen Verzerrungen, das ist nicht mehr entzifferbar. Von der Lautstärke her schon, man hört, da schreit jemand rum, aber man versteht's nicht mehr, weil da so viele Echoräume usw. sind. Im Freien geht's eher über so weite Entfernungen.
Nein, ich glaube, es ist extrem schwierig für die armen Zuschauer und Zuhörer. Weil selbst wenn man dann soweit ist, daß man das akustisch verstehen kann: was fängt man damit an? Ohne Vorinformationen steht man da, glaube ich, voll an. Und das frustriert, glaube ich. Ich meine, man kann das auf sich wirken lassen, rein impressionistisch, aber man hat keine Chance, irgendwas zu verstehen. Und deshalb kann ich mir vorstellen, daß viele Leute, die sich das einmal angeschaut haben, nicht öfters kommen, weil es für die zu schwer ist, so wie wenn man einem Volksschüler eine Mathematikaufgabe von der Uni gibt, es ist einfach zu schwer, kann er nicht lösen. Einer der keine Informationen hat und kommt dahin, kann das auch nicht verstehen, das ist unmöglich, glaub ich.
R.S. Ich glaube eher, man ist ein bißchen mit der Räumlichkeit überfordert, man ist mit der Rolle, die man da als Publikum zu spielen hat, überfordert, mit der z.B., daß ich meinen Platz erst finden muß darinnen. Und die Aufmerksamkeit ist wahrscheinlich zu sehr bei sich selbst, als daß man sich soweit darauf einlassen könnte, daß man danach treibt und vielleicht bestenfalls auch noch merkt, wohin man getrieben wird. da muß ich dem Schurli mathematisch recht geben.
D.U. Funktioniert das über die Dauer besser?
R.S. Ja.
D.U. Wie oft warst Du da?
R.S. Zweimal. Ich war beim ersten Mal länger, und da war es deutlich kälter, und beim zweiten Mal war ich kürzer und deutlich besser positioniert.
D.U. Und da hast Du alles schon gefaßt, bist wieder gegangen, okay das hab ich jetzt?!
R.S. (lacht) Naa, aber irgendwie hab ich mich leichter getan, mit mir umzugehen dabei.
D.U. Du sprachst von der Position des Zuschauers, wie siehst Du die?
R.S. Ich glaube nicht, daß die Position eines Zuschauers irgendeine Rolle spielt, außer daß sie vielleicht in euren Bewegungen oder eigenen zu wählenden Örtlichkeiten dann irgendwas mitspielt - die Position des Zuschauers ist natürlich immer ganz bei sich, egal wo er hingeht, ob er jetzt in ein Guckkastentheater geht oder zu euch in den Schlachthof, ist dabei wurscht, man ist immer ganz bei sich, aber entweder man wird verzaubert oder nicht, und der Zauber ist einfach ein anderer in dem Fall, weil man eben sehr viel mehr mit sich selber machen muß und nicht die Sicherheit des Arsches weiß, der da auf dem Sessel ruht.
G.W. Ja, man hat halt die Sicherheit des Parkettsessels im Guckkastentheater, aber eigentlich hatte ich schon immer die Sicherheit, daß ihr nicht Interaktion in dem Sinn macht, daß ihr einen packt und irgendwohin schleift oder auf einen eindrescht oder sonst irgendwas. Bis auf wenige Ausnahmen kommt das nicht vor. Einmal hat die Tina den Frido weggezerrt und du bist einmal auf mich losgegangen, also losgegangen ist übertrieben, aber das ist eher nicht die Regel, daß ihr die Zuschauer in so einer wirklich greifbaren Art und Weise einbindet . man muß nicht so Angst haben vor euch.
R.S. Die Tatsache, daß man selber eine Bewegung auslöst in der Darbietung, auf das kommt man nicht von selber.
G.W. Und ansonsten, ich weiß nicht, ihr treibt Spielchen mit den Zuschauern, ihr denkt euch irgendwas aus, was weiß ich: "Der Zuschauer dort, der marschiert ins Bild und setzt sich auf den Sessel, jetzt tun wir so, als ob.", was weiß ich, ".als ob der Aigist wär' ..." - solche Sachen macht ihr doch manchmal. Oder: "Wir adressieren den Text jetzt mal an irgend einen Zuschauer und räumen dem eine Rolle ein", und das ist dann aber extrem unangenehm, nicht?!
D.U. Ist es das?
G.W. Ja schon. Ich empfind's oft als unangenehm im Schlachthof [lacht]. Es kommt darauf an, was für Text oder Rolle einem zugedacht wird. Ja, oft ist es unangenehm, und danach sagt die Tina: "Ah, da warst Du der Aigist", und der Aigist ist doch das Schwein, das die Klytaimnestra da irgendwie.
R.S. (unterbricht) ... so was spiel ich nicht, schon gar nicht als Zuschauer...
G.W. .anbaggert während ihr Mann im Krieg kämpft. Eine undankbare Rolle, die mir da zugedacht worden ist, und mir war's auch wirklich voll unangenehm. Also, da hab ich mich auf irgendein Sofa gesetzt, ganz einfach weil ich müde war vom vielen Herumgehen und Stehen, und da hab ich mich dahin gesetzt, und irgendwie war mir plötzlich voll unwohl, die anderen haben mich angeschaut. Die Tina hat danach gesagt: "Ah, da warst Du Aigist, Du hast Dich neben die Chris gesetzt, und die war Klytaimnestra, hat gerade den Text von der Klytaimnestra gesprochen", ich bin neben ihr auf dem Sofa gesessen, da haben sie alle gedacht, ich bin jetzt der Aigist. Und ich bin mir eigentlich gleich ganz schlecht vorgekommen und böse.
D.U. Wurdest Du adressiert, Stutzi?
R.S. Ja, aber natürlich ohne es zu bemerken. Ich habe bei meinem zweiten Versuch eher das Prinzip verfolgt, ich häng mich ein bißchen mehr auf Einzelpersonen drauf, und dabei war ich für Tina Adressat, wer ich da war, weiß ich nicht - wahrscheinlich war ich in dem Moment Fatzer - und hab mehr oder weniger erkennen können, worum es offensichtlich gerade im Gesamtgemurkse geht, nämlich Fatzer vergewaltigt - ich weiß nicht, wie die heißt. Ansonsten weiß ich nicht, wann ich jemals Adresse irgendwelcher Interaktion war.
Ich würde gern mal allein hingehen [zur Veröffentlichung] und dort am liebsten auch niemanden kennen. Dann wäre vielleicht der Eindruck ganz ein anderer als der aufgrund der Tatsache, daß ich Leute kenne, die da mitspielen, und weil ich immer die Möglichkeit habe, mich in irgendwelche Bekanntenkreise zurückzuziehen um da eine Zigarette zu rauchen, Tee zu trinken, kurz zu quatschen, ob ich das nun in Anspruch nehme oder nicht. Wenn ich mich dieser Möglichkeit entziehe, schaut das sicher ganz anders aus.
G.W. Das Teehaus ist das "Leo" [Der Ort, wo man beim Fangespiel nicht erwischt werde darf]. Da drinnen kann man nicht adressiert werden.
R.S. Wenn wir gerade Pause machen und im Teehaus stehn und Tee trinken, und es kommen alle [Spieler] rein und schreien drinnen herum, ist das natürlich auch deren Ort, aber das Gefühl der Vorstellung ist dort nicht, es ist eher so, als würden sie in den Pausenraum des Publikums einbrechen.
G.W. Das Teehaus ist der einzige Ort des Schlachthofs, der eigentlich nicht als Bühne fungiert.
R.S. Weil er auch das Guckkastenprinzip erfüllt, das ist die Möglichkeit, Guckkastentheater zu erleben. Das ist der Raum des Zuschauers, der Rest ist der Raum der Handelnden.
G.W. Das ist schon auch der Raum der Schauspieler, aber die gehen ja eigentlich auch nur dort hin, um Pause zu machen.
R.S. Aber sie werden, selbst wenn sie spielen dort drinnen, nicht als solche empfunden, weil sie sind ja jetzt in meinem Raum, und nicht ich in ihrem.
R.S. Es ist wirklich so was wie das Pausenfoyer des Schlachthofs, es ist alles Bühne, bis auf das Teehaus. Man ist immer unter einer Spannung, das muß ich schon sagen. Kaum verläßt man das Teehaus, denkt man, man ist da jetzt auf der Bühne gemeinsam mit den Schauspielern. Auch wenn man nur geht oder steht, man ist Teil des Ganzen. So wie der ganze Schlachthof, die Architektur ein gigantisches Bühnenbild - ein sehr schönes - ist, ist man dann, wenn man unbewegt dasteht, auch Teil des Bühnenbilds und sobald man aber nur einen Schritt macht, und dann ein Schauspieler vorbeigeht, löst man irgendwas aus. [.] Man kann nur im Teehaus wirklich entspannt sein und sich denken: "Puh, ich bin raus." |
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