theatercombinat | 1/1999 – 12/2000 massakermykene «orestie» aischylos, «fatzer-fragment» bertolt brecht, 2 jahre proben, 15 veröffentlichungen zwischen 36 minuten und 36 stunden dauer im schlachthof st. marx, wien (a)
versuch einer politischen aktion |
mmm1
mmm2
mmm3 mmm4
mmm5
mmm6/1
mmm6/2
mmm7
mmm8 |
|
theatercombinat
MassakerMykene
Material 4
Es geht nicht darum, politisches Theater zu machen, sondern Theater politisch zu machen.
(frei nach Godard )
Am 5.02.2000, dem Tag nach der Angelobung unserer neuen Regierung (fpövp), als wir uns im Schlachthof zur Probe trafen, schien es unmöglich, unseren Arbeitsalltag aufgrund der veränderten politischen Lage fortzusetzen.
Überlegungen folgten, wie die neue Regierung, der neue politische Kontext in Österreich unsere Arbeit verändern, und wie wir jenseits von Deklarationen und Diskussionen handeln könnten. Wir fuhren in die Stadt um eine Chorübung aus unserer Arbeitspraxis am Ballhausplatz zu machen. Wir entschieden uns ohne Text zu arbeiten, um ein Sich-in-Botschaften-Verwandeln von Textfragmenten oder aber auch ein sofortiges "als Theater entlarvt werden" zu vermeiden, da wir nicht unsere künstlerische Produktion zur Schau stellen wollten, sondern über unsere Präsenz irritieren. Wir wollten den Ballhausplatz einnehmen, verteilt stehend, und innerhalb der Demonstration einfache Bewegungen ansetzen, in der Hoffnung, sie würden zitiert, um den an den Tagen zuvor erlebten Demonstrationen eine andere physische Präsenz/ Richtung zu geben. Ein vermessener Gedanke. Es ist uns nicht gelungen, aus unterschiedlichen Gründen.
Im folgenden Material findet sich eine kurze Beschreibung, sowie ein Diskussionsmitschnitt direkt nach unserer Aktion auf dem Ballhausplatz.
Wir haben uns entschieden, dies als massakermykene material 4 herauszugeben, als Dokumentation eines Versuchs aus unserer Arbeit Haltungen praktisch zu finden oder zu formulieren.
was war
wir erwarteten eine wiener innenstadt, in der es sich, wie auch tags zuvor, nonstop tummelte von aufgebrachten bürgern, teilen von demozügen. wir fanden gegen 14:30 eine nahezu leere innenstadt vor, niemand bei der övp- zentrale, beim burgtheater, am ballhausplatz, niemand. wir brachten in erfahrung, daß die demo um 17°° am ballhausplatz beginnen sollte. gegen 15°°: beschluß - trotzdem - am ballhausplatz zu arbeiten. wir waren uns einig, daß wir auch dort den chor als zentrum unserer arbeit begreifen. (ein interesse ist auch gewesen, ob wir physisch etwas klar genug anbieten könnten, so daß - wie zufällig mit den anwesenden - ein größerer chor entsteht.)
außer polizisten und einer kleineren menge journalisten und kameramännern waren kaum passanten auf dem platz. jeder von uns positionierte sich. über die dauer von 30/40 minuten irritierte unsere anwesenheit: uns, scheinbar organisiert, positioniert zu sehen, auf ein gebäude, eine tafel, auf eine person konzentriert. viel länger dauerte es nicht und die erste kollegin wurde von einem polizisten angehalten, sich auszuweisen. eine passantin kam ihr "zu hilfe", sie hatte zuvor schon aus interesse kontakt zu einem spieler aufgenommen und wurde "eingeweiht".
der moment schwächte uns in zweierlei hinsicht: nachdem die kollegin kontakt zur polizei hatte, versuchten wir, uns jeweils zu zweit zu begegnen, um informationen auszutauschen (zwei, drei realisierten, daß sie ohne ausweis da waren...). ebenso der umstand, daß die polizisten von diesem moment an zwar nicht wußten, was von uns ausginge, sich aber sicher waren, daß wir keine gefahr darstellten. wir wechselten weiterhin unsere positionen auf dem platz, bis einer von uns begann, auf der stelle zu springen. einige von uns nahmen diese bewegung auf; im abstand von 40-100 metern sprangen wir eine zeitlang zugleich auf der stelle. vorsichtig wurde gestisches ausprobiert: später bedeckten einige das gesicht mit den händen.
gegen 16:30 sammelten sich die ersten demonstranten an der grenze zwischen ballhaus- und heldenplatz, laut parolen skandierend und zugleich in drei megaphone texte brüllend. diese ersten drei handvoll protestkundgebenden waren für uns nicht zu adressieren - sie waren selbst auf "adressieren" konzentriert; auch betraten sie nicht den ballhausplatz. das tageslicht begann zu schwinden, und es ergab sich ein zustrom von demonstranten, die noch immer diese unsichtbare grenze zwischen ballhaus- und heldenplatz respektierten, so daß es für uns unmöglich gewesen wäre "unser terrain" auf den heldenplatz auszudehnen, ohne einander zu verlieren. als es gegen 17:30 völlig dunkel geworden war, beendeten wir unseren versuch. bis zu diesem moment gab es immer wieder unterschiedliche kontakte mit passanten, polizei: - ist ihnen schlecht? - seid ihr für oder gegen was? - von wo seid ihr, von einer organisation, oder von wo? -
Diskussion, Samstag, 5.2.2000
"Was soll das werden, wenn's fertig ist? Sie stehen zu mehreren seit über einer Stunde in auffälliger Weise herum." Zitat Polizist
A.P. Eine Passantin: "Sind sie für Ordnung oder für Chaos?" - "Was sehen Sie." - "Z.Z. noch Ordnung." Ein anderer meinte, er sähe sieben Leute, die organisiert was machen, aber er wüßte nicht, was.
Interessant ist doch, wie kann man einen Platz behaupten - die Polizei bzw. wir - was ändert sich, wenn dann die Demo kommt -
C.B. Ich fand schockierend, daß die Polizei viel präsenter war als die Demo -
A.R. Fand ich auch - wie Familien. Von außen sieht es aus wie ein Zug, wenn man dann reingeht sind es lauter Kleinfamilien.
C.B. Die Frage ist, wenn man sich nicht verbal äußern will, wie kann man übers Tun was setzen, ohne daß es bescheuert wird, aber eine deutliche Position zeigt.
A.R. Allerdings war v.a. der Bezug zur Demo unklar, auf einmal wurde man zu etwas Drittem, nämlich Theater, als die Demo kam. Zuvor haben wir den Platz bestimmt, dann kam es mir auf einmal vor wie Aktionismus. Die Verbindung ist nicht gelungen.
C.S. Das war aber von mir durchaus absichtlich so, weil ich mit dieser Form politischer Meinungsäußerung, wie sie da ankamen, nichts zu tun haben will.
A.R. Aber warum ist man dann da.
A.P. Es geht um den Platz, und den haben wir aufgegeben.
A.R. Aber in Wahrheit ist das auch genau die Frage, die man auch im Orestiechor hat, draußen am Schlachthof. Was gibt es für eine gemeinsame Klarheit über die Aktionen, die man dann setzt.
C.B. Aber hier ist das eher eine Frage von Ideologie oder Konzeption.
A.P. Die Demo aber hatte keine Ideologie. Die war ja nicht politisch. Die Demo war einfach kein Gegenüber, ohne Interesse außer Selbstdarstellung, und die war noch schlecht.
T.Z. Aber was ist dann unser Interesse?
T.S. Und was macht man, wenn man gefragt wird, seid ihr gegen oder für was -
A.R. Das ist für mich nicht das Problem, ich finde gut, daß das für oder gegen unklar bleibt, sonst hätten wir ja eine Botschaft.
C.B. Ich bin ja nicht botschaftslos. Wenn ich z.B. den Westenthaler bei der Diskussion erlebe-
A.R. Aber darum geht's doch da nicht, da waren wir am falschen Ort, vor dem leeren Gebäude, so was muß man ja ins Gesicht sagen -
T.S. Nein, aber das Gebäude steht für was -
T.Z. Ich fand den Versuch interessant, da ein drittes System nur auf den Raum bezogen zu machen.
C.S. Und warum soll ich nicht sagen, ich mache Theater am Schlachthof und heute halt hier.
A.R. Weil ich das so entschärfend finde. Ich weiß auch nicht, warum ich das denke, daß Theater harmlos ist - dabei fällt mir ein Film ein, in dem jemand entführt wird und die Entführer keine Forderung stellen. Das ist um vieles unheimlicher, weil du nicht weißt, was das ist - und sobald es Einzuordnen ist und gar in die Kunst oder in Theater, dann ist das für die nicht mehr bedrohlich.
Weil die sich ja fragen, was machen die da, wie die Passanten, die uns angesprochen haben. Offensichtlich hat das einen Zusammenhang, und auch einen Zweck, und dann ist das eine bohrende Frage in denen. Solange sich diese Fragen stellen, sind wir in der Offensive.
Sobald es das "Aha, das ist Theater" gibt, sind wir in der Defensive, egal was wir da machen, außer wir gehen wirklich über zum Angriff, physisch, vor die Füße spucken oder so.
C.B. Aber das heißt, daß wir als Theatermachende im Grunde keine Form des Protestes haben.
In dem Moment, wo wir sagen, wir sind die und die - wir sind ja nicht als Privatpersonen da, wir machen das als Reaktion auf die neue politische Situation - wäre das sofort entkräftet. Gibt es denn eine Möglichkeit, als die, die wir sind, oder aus dem, was wir arbeiten, eine Form von Protest zu finden oder eine Äußerung zu einer politischen Situation zu tun. Oder geht das nur als Privatperson.
A.R. Die grundsätzliche Frage bleibt, warum das Medium Theater so entschärfend ist, oder warum das so wirkt, ich habe den Eindruck schon. Warum ist z.B. das, was die junge Schaubühne gemacht hat, mit dem Vietnamkrieg, skandalös und heutzutage interessiert es niemand - dieser Sturm auf das Burgtheater z.B. -
C.S. Ich denke, ich kann es nicht grundsätzlich beantworten, nur auf die Situation bezogen, und da geht es allererstens drum, was machen wir dort, wie ist man bestimmt und präsent, und zum anderen fällt es mir gerade hier so schwer, weil ja generell die Kultur- oder Theaterleute so eine schleimige repräsentative Intellektuellenposition einnehmen. Der Kontext bestimmt natürlich mit, was ich da dann entschärft finde.
C.B. Aber was heißt das in der Konsequenz, für das als die wir sind, wir sind ja nicht zufällig hin, es hat einen bestimmten Zusammenhang. Es gab ja auch die Frage nach morgen (der Veröffentlichung VIII am Schlachthof). Ist im Grunde eine Form von geäußerter Protestierei zwangsläufig der gute Ton, weil der gute österreichische Kulturschaffende das zu tun hat - Fragezeichen - oder was gibt es dann für Wirkungsmöglichkeiten, wie sehen die aus und wie müßte man die herstellen und wo.
A.R. Ich weiß auch nicht. Wogegen ist man wirklich. Ich hab mir dann schon überlegt, ich hab die ja nicht gewählt, ich darf ja nicht mal wählen, weil ich keinen Wohnsitz hab, das ist ja auch meine Schuld, aber ich darf eben nicht wählen, ich hab weder die einen gewählt noch die andern nicht gewählt, sondern gar nix. Was tu ich dann da oder wofür steh ich denn da ein - wenn ein Polizist fragt, was tust du da und ich sag ich protestier, ja wogegen, müßt ich sagen, ja gegen alles. Ich bin gegen Demokratie. Das ist ja meine Meinung. Wenn man sagt, wir sind das theatercombinat St. Marx, da arbeiten wir, und wir sind gegen Demokratie, das ist dann halt eine andere Liga. Das darfst du nämlich nicht sein, gegen Demokratie. Aber ich müßte eigentlich das sagen, denn es ist die Wahrheit. (Schweigen)
Da würd's anders ausschaun, wenn man z.B. sich als theatercombinat so definiert, angenommen mal. Wir sind für die Abschaffung der Demokratie. Weiß nicht, das ist (lacht) prekärer dann. D.h. ja auch völlig was anderes als wenn man sagt ich bin gegen eine blauschwarze Koalition.
(Schweigen)
T.S. Ja - das war ein Putschversuch jetzt von uns...
A.R. Im Ernst jetzt, diese Fragen stellen sich ja des öfteren. Ich hatte auch gestern noch eine Diskussion abends, eine kurze, ob das nicht ideologisch sei, was wir da machen, sind wir nicht zu weit links, und ich hab dann gesagt, das Problem ist einfach, wie kann man den Chor in den Mittelpunkt stellen. Wie agiert man denn, wenn man nicht individualistisch agiert. Ich komm ja wirklich zum Kernsatz - was ist denn das, sich frei bewegen, ohne in Individualismus zu verfallen - immer in Bezug auf andere, die mit mir sind.
C.B. Aber das ist eine grundsätzlich ungeklärte Frage, was den Chor betrifft, bei uns, inwieweit ist der Chor Simultaneität und Kurzschließung von einem Interesse, das ich von jemandem abnehme - in welchen Entscheidungsprozessen passiert das bei uns.
Ich glaube, wir wirken häufig sehr ident, nur wo ist da wieder intern ein quasi-hierarchischer Vorgang, und wie weit hat das dann wieder was mit dem Chor zu tun - die simultane Organisation von einem hierarchischen Prozeß - Fragezeichen - und das zweite ist dann für mich eine Grundsatzfrage, was ist der Chor. Und da glaube habe ich zu bestimmten Dingen eine andere Position. Ich denke, da muß eine sehr präzise ausgeprägte Individualität sein, die dann aber so stark ist, daß sie sich in Bezug setzen kann zueinander. Und dann geht auch eine Gemeinsamkeit. Weil sonst beharre ich, bin in einer Besitzerhaltung oder ich gebe etwas auf, von dem ich gar nicht weiß, daß ich es aufgebe und was ich jetzt aufnehme. Und dann wird das so eine breiige Masse. Parallel aber noch mal zu der Frage des Individualismus. Man könnte sagen, Individualismus ist eine zufällig produzierte Differenz und Individualität ist eine sehr klare eigene Setzung. Und ich glaube, um Chor machen zu können, muß man sich sehr klar sein über sich im Tun, und wenn man das ist, gibt's auch die Möglichkeit, das chorisch zu potenzieren.
A.R. Ich unterstreiche ja nur das chorische Moment in unserer Arbeit, weil ich denke, so einfach ist es ja nicht, ich springe jetzt auch gedanklich und bin ganz vage. Ich bin auf das gekommen wegen dieser Positionierung - für, gegen, links, rechts, man wird ja auch so eingeordnet oder mitunter auch - was ich damit erzählen wollte - auch angegriffen dafür, daß man irgendwie links ist. Dann denk ich, was ist denn das Linke an mir, bin ich da links, sind wir links, weil wir in St. Marx arbeiten oder was ist es denn, dann komme ich auf das Chorische und wie das zusammenhängt.
C.B. Es ist ja nicht ein Chor. Ein Chor von Brecht z.B., funktioniert anders als der Orestiechor. Und der Chor der Greise anders als der der Sklavinnen im zweiten Teil. Es ist ja auch falsch zu sagen, der Chor als solcher. Wir arbeiten meistens an dem Chor mit Texten von der Orestie vom ersten Teil, dem Agamemnon, das ist der Chor der Greise, und der hat eine ganz bestimmte Funktion und ganz bestimmte Texte und die bedingen etwas.
A.R. Ich gehe nach wie vor davon aus, daß ich was vermittle, daß ich zusammen mit anderen Chor darstelle und nicht einfach Chor bin - das ist einfach ein Unterschied.
T.Z. Ich bin für mich auf dasselbe gekommen wie auch am Schlachthof, wenn Leute da sind. Daß mich der Raum und wir uns untereinander mehr interessieren als irgendein Spiel mit den Zuschauern, hier mit dem Demozug oder sonst jemandem.
C.B. Aber das stimmt ja nicht, du hast ja mit den Polizisten durchaus operiert.
A.P. Aber die Polizisten haben den Vorteil, daß sie sich nicht als Zuschauer verhalten, daß sie eine ganz andere Funktion haben.
C.B. Ich fand's interessant, wie man als organisierte Gruppe im Antlitz einer organisierten Gruppe agiert.
Stand 19.2.2000 |
www.theatercombinat.com theatrale produktion und rezeption |