massakermykene

zur zuschauerkommunikation 2

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  theatercombinat
MassakerMykene
Material 6/ II

A20
Therese K.
Auf ihr Verlangen nach sexueller Befriedigung erhält sie von Koch den Bescheid sie sei bis auf weiteres frei
«Denn durch die Umständ
Wurd uns dein Dach mehr als dein Bett Dein Lager
Ist wichtiger als durch dich weil drauf
Nicht Regen fällt und Blick der Menschen fällt
Und können wir dir dein Lager nicht zahlen durch Umarmungen
Geschwächt durch Hunger oder weil wir zu viele sind
Müssen wir doch wenn eine Mahlzeit mit Fleisch
Oder wenn deine Leibeswärm uns zwingt auch noch
Zu dir kommen deswegen
Und drum
Können wir auch nicht
Dem Weib ans Fleisch greifen und erhoffen
Dass es uns das Brot bäckt sondern müssen
Anrufen deine Vernunft ob stark ob schwach
Sie beschließen das Weib sei frei aber keiner von ihnen dürfe etwas mit ihr machen Wichtiger sei die Einigkeit da diese lebensnotwendig die mit ihren Tellern Herausgehenden hält der Mann auf mit der Aussage er habe keine Lust mit einem Weib zu schlafen solang er solches Fressen fresse Darauf die obige Rede Kochs

Fatzer nimmt sie Wahrscheinlich als Rache dafür dass sie ihn angebunden haben «Nehmt an ein Weib musst mich losbinden und wie sollt ich's zahlen ?» Diese Eröffnung verquickt er mit dem Angebot eines Plans der «ihnen Essen verschaffen würd für Wochen» Sie beraten und beschließen mit Stimmenmehrheit den Plan anzuhören Als Ideologie geben sie an dass «das Weib frei sei und für ihr Eigentum halte was sie brauchten nämlich diese Unterkunft und man/nur durch Bewältigung ihres Fleischs diesen Glauben aus ihr brächte Der Mann aber müsse bekommen was er brauche» / (Folgt Fatzers Vorschlag der Heimarbeit)

Fatzers Überfall auf Therese wird vom Chor erzählt
Übrigens fügt Fatzer seinem Vorschlag Heimarbeit zu leisten also sich auf lange Belagerung einzurichten noch die Anregung hinzu das Weib (das er eben genommen hat) dazu zu verwenden («das sagst du weil du von ihr satt bist») Arbeiter anzulocken «teils um die Bewohner dieses Hauses das wir von jetzt geraume Zeit bewohnen werden an fremde Gesichter zu gewöhnen Sie werden sagen die gehn zur Kaumann Sie hurt teils um von diesen zu erfahren wie unzufrieden die Fabriken sind und ihre Unzufriedenheit zu stärken wovon viel abhängt»
Dies alles also in einer Szene die beginnt mit Fatzers Auftreten nach seinem ersten Ausbleiben und seinem Vorschlag ihm bei seinem Kampf mit den Fleischern zu helfen und unterbrochen wird durch die Erzählung des Chors der also den Beischlaf in dem Moment erzählt in dem er unten stattfindet
bertolt brecht

"D. (uhlig) kriecht und ich bin im abstand von 6,7 m ganz langsam ihr nachgekrochen. Mit text. Ich kam immer näher und ich merkte, daß neben mir eine frau in einem bestimmten abstand mit mir mit geht - kurz vor d. kam die frau immer näher. Ich habe dann zu ihr geschwenkt und versuchte, text sprechend, ("denn durch die umständ...") kriechend zwischen ihre beine an ihre möse zu kommen, an ihr riechend. Ihr war das wohl unangenehm und sie wich mir aus. Ich kroch ihr nach, dann, wenn sie stehen blieb, blieb ich es auch usw.
Das wollte ich z.b. partout nicht mit d. spielen, weil ich wußte, dass wer da ist. Es wäre mir absurd vorgekommen, dass, wenn ein zuschauer so nah ist, ich eine szene mit d. mache. Von den andern paaren hatte ich keine ahnung.
Die anderen paare - die tatsache, dass du nichts mitbekommst - woher kommt das, beeinflusst das das agieren mit dem zuschauer?
Ich weiß, daß die anderen konstellationen auch a 20 machen, und ich nehme an, dass die auch mit zuschauern kontakt haben.

Meine letzten a 20 versuche waren immer relativ distanziert.
Wozu?
Zum ganzen. Zur situation. Einmal war ich allein, weil a. (rabl), mein partner, grad in der pause war - also habe ich mich allein in die mitte vom raum gelegt und den text in den raum hinaus gesagt. Wobei das einfach und komplex ist, denke ich, weil die haltung, meine, je nach textstelle verschiedenes bedeutet - erst bin ich die frau, die besprochen wird, dann der mann, der spricht - ich behalte die position, die durch den sprechakt zu etwas anderem wird.
Und gleichzeitig kannst du macht haben, weil du sprichst. Ich beneide ohnehin immer die, die bei b 49 oder a 20 allein sind - weil man dann gut mit dem blick des zuschauers arbeiten kann - es gibt mehrere möglichkeiten, mit dem zu arbeiten, je nachdem, zu was man dann wird, sprechend.
Es ist fast nötig, einen zuschauer hinzuzunehmen, oder allein zu sein, weil sonst immer dieses vierte-wand-problem da ist."

"Es ist wohl bemerkenswert, meine ich, daß "die Gesamtsituation" genau das meint: alles - einschließlich, wie es scheint, des Körpers des Betrachters. Nichts in seinem Gesichtsfeld - nichts, das er irgendwie bemerkt - erklärt sozusagen, daß es ohne belang sei für die jeweilige Situation und folglich für die Erfahrung. Im Gegenteil, damit etwas überhaupt wahrgenommen werden kann, muß es als Teil der Situation wahrgenommen werden. Alles zählt - nicht als Teil des Objekts, sondern als Teil der Situation, in der dessen Objekthaftigkeit entsteht und von der diese zumindest teilweise abhängig ist."
Also sei "die Gegenwart der literalistischen Kunst ... im Grunde ein theatralischer Effekt ... - eine Art Bühnenpräsenz. Sie ist eine Funktion nicht nur der oft sogar aggressiven Aufdringlichkeit der Kunstwerke, sondern auch der besonderen Mitwirkung, welche die Arbeiten vom Betrachter verlangen. Man spricht von der Gegenwart einer Sache, wenn sie verlangt, vom Betrachter berücksichtigt zu werden, ernst genommen zu werden."
Einerseits also wird das Subjekt-Objekt-Verhältnis als Zwischenraum, "real", körperlich thematisiert. Aber, es bleibe eine große Indifferenz, "Der Betrachter weiß, daß er als Subjekt in einer unbestimmten, offenen - und nicht sehr anspruchsvollen - Beziehung zu dem ausdruckslosen Objekt an der Wand oder auf dem Boden steht." Fried wirft den "literalistischen" (minimalistischen) Objekten vor, dass sie nach Einheit und Ganzheitlichkeit strebten, in der Nachahmung antropomorpher Strukturen spiegelten sie deren Eigenschaft, ein "Innen" zu haben - als Geheimnis, ohne Relationen, so daß ihre Betrachtung nur ein leeres Erlebnis sein kann, keine Erfahrung, kein Verhältnis, keine Isolation, aber auch keine Gemeinschaft konstituierend.

Setze ich nun statt Objekt - als Gedankenspiel - jeweils Spiel oder Akteure, verschwindet im besten Fall dieses "Innen" als leeres Geheimnis, es spaltet sich auf - oder es erscheint doch nur wie ein beliebiges Objekt, je nach Spiel. Die Arbeit ist - ausgehend von der SITUATION - ein Ausloten verschiedener Wechselverhältnisse, Positionierungen von Subjekt, Objekt, leiblicher Erfahrung und SPRACHE/TEXTEN.

An dieser Stelle kann ich nur offene Gegensätze beschreiben - die immer wieder von Zuschauern gehörte Aussage, dass es uns offenbar mehr Spaß mache als ihnen. Die von Zuschauern beschriebene Hermetik der Arbeit und demgegenüber das Gefühl (von innen) einer enormen Ausgesetztheit und Transparenz.
Und: interessant, für mich, ist ja, warum mich dieser ansonsten mir eher fremde Aufsatz zur minimalistischen Kunst der 60er Jahre überhaupt zu Fragen anregt, und zu der Erkenntnis bringt, dass ich mich selbst - ein weiterer Widerspruch - agierend offenbar mit jenem "Objekt" identifiziere, nicht mich als "Subjekt" sehe.

Die Chorfrage ist darin eingelassen und ein Rätsel: bezugnehmend auf A.P.s Beschreibung, der Zuschauer kann den Chor als dreidimensionales Bild sehen, als in irgendeiner Form Objekt/ geschlossene Entität - wobei da die Blicke aus dem Chor entscheidend sind - aber "der Chor" kann sich nicht in der Weise zum Subjekt machen, wie A. das gerne hätte, er bleibt also immer ein Zwischenbereich zwischen "Subjekt und Objekt" - etwas Drittes?

Für den Betrachter entsteht der Widerspruch, dass prinzipiell alles sichtbar ist (es ist Theater!), er aber nie alles sehen und hören kann - und selbst wiederum Teil dessen ist - also prinzipiell für alle sichtbar ist, aber als "Objekt" vielleicht nicht "interessant" genug.
Außerdem ist diese Situation mit dem Betrachter geteilt - ich sehe auch nicht alles - am wenigsten sogar mich selber.
C.S.


"Aber da ist noch die sache der gesamtkonstellation. So eine vierte-wand-szene geht doch nur, wenn man einen zuschauer als "voyeur" benutzt - ohne dass man ihn als solchen ausstellt - man muss mit dem bewusstsein agieren, daß man da beobachtet wird. Aber was unterscheidet das von der vierten wand?

Ein riesenunterschied ist doch, daß der zuschauer sich hin- oder wegbewegen kann - oder in irgendeiner anderen form kommentiert, oder auf das reagiert, was er sieht, und man das auch mitbekommt."
Auf der Ebene des Sehens/der Blicke geht es in diesen Verhältnissen als konstitutives Element der Gesamtsituation immer darum, ob ich jemanden ansehe oder nicht - oder wie sehe ich an oder wie sehe ich vorbei. Ein Blick braucht praktisch fast keine Zeit und konstituiert doch die Haltung mit. Neben dem, was ich mit Blicken - vorbei oder direkt - thematisieren will (ein offenes, direktes Verhältnis zu einer bestimmten Person vielleicht, oder einen "dramaturgisch" sinnvollen Blick als eine Figur zu einer anderen Figur - Fatzer und Therese z.B.) - Blicke, die man von mir aus als voll intentional und kontrolliert beschreiben könnte - gibt es die verstohlenen orientierenden Seitenblicke und die Blicke, die sich umkehren.

Ich vermeine, offen zu schauen, aber der Zuschauer sieht mir an, dass ich in seinem Gesicht womöglich zusätzlich nach einem "Urteil" über mein/ unser Agieren suche, oder ihm mein Urteil über seine performance mitserviere, was ich wiederum von seinem Blick gespiegelt bekomme, ohne so einen Kommentar aber vielleicht zu wollen oder in dem Moment bearbeiten zu können. Oder der An-Blick des Zuschauers ist meine Möglickeit, die Situation der Ausgesetztheit umzudrehen - ob ich ihn zum Subjekt der Situation mache (anblicke) oder zum Objekt, das ich betrachte. Insofern ist das Blicken/Schauen, die Blickwechsel mit den Zuschauern, eine der massivsten Ebenen der Kommunikation, zugleich eine der flüchtigsten, unkontrollierbarsten. Ein Kontakt eben. Utopisch ist das vielleicht immer noch, aber das zu erreichen ist eine seltene Erfahrung.
C.S.

"Aber nochmal. Verändert das für dich das handeln nicht auch, wenn du von den andern weißt - als gegenseitige kombinatorik. Entweder ich oder "meine" konstellation ist "gut", d.h. da hat sich eine starke situation gebildet - oder ich merke, eine andere ist stärker oder vielleicht auch spannender, aber fragiler - dann kann ich ja durch mein agieren diese stärken, aufmerksamkeit hinlenken oder ihr eine bestimmte richtung geben.
Warum fallen dir bei der frage als erstes a 20 und b 49 ein?
Ich frage mich z.b., ob nicht dadurch sich bestimmte verhältnisse mit den zuschauern - oder die zuschauer selbst - konkreter zeigen, weil die situation qua sexstück fatzer sozusagen schon vorsortiert ist - die situation, um die es geht, verteilt die zuschauer qua geschlecht schon in einem bestimmten gleichen raster wie die spieler. Das ist bei andern fragmenten nicht so oder nicht so evident. Da ist es z.b. ein raster wie einzelner/gruppe, oder gruppe/chor/zuschauer. Damit identifiziert man sich nicht von vornherein, es müssen sehr spezifische gesten/konstellationen gefunden werden, um einzelne zuschauer z.b. "zu was zu machen" - zur menge oder zu einer figur oder was auch immer. Frauen und männer aber sind sie schon. Es gibt neben dem spiel bereits einen gesellschaftlich relativ klaren handlungskontext, dessen regeln man benutzen kann, vielleicht auch brechen oder umfunktionieren.
Einen zuschauer z.b. hinsichtlich seines sozialen status oder so zu thematisieren, ist schon schwieriger, weil es nur mehr sehr verwaschene konventionen gibt.
Für mich war diese aktion mit x. konnotiert, mit ihrem umgang in der öffentlichkeit. Wenn ich da jemand wildfremden hätte, da wäre es vielleicht zu plump, oder man würde etwas kaputt machen - es ist auf eine gewisse weise ja sehr intim und auch aggressiv -
Aber die zuschauer sehen das ja - das verändert doch die gesamtsituation, wenn man sieht, dss sowas "drin" ist.
Du hast in a 20 überhaupt keine erfahrungen gesammelt, oder?
Mit zuschauern? Doch. Aber nie mit körperkontakt.
(...)
Aber grade denke ich, daß die unterschiedlichkeit der spielweisen hier (in einer bestimmten a 20 anordnung, in der eine "szene" ablief, die von anderen, abstrakter agierenden paaren gerahmt wurde) natürlich auch die zuschauer ordnet, vielmehr in dem fall selektiert - in mehr "traditionelle" vielleicht oder in "avantgardistische" - klischeehaft gesagt. Aber darüber wird zumindest dies auch sichtbar - die unterschiedlichkeit von rezeptions- und erwartungshaltungen, auch schlicht von vorlieben, individuellen, der zuschauer, wird gegenseitig im moment des spiels erfahrbar.
(...)
Die frage ist, haben wir (s.o.) nur fatzer gemacht oder eine kombination mit der orestie. Dies im sinne der "gesamtsituation" gefragt und wie sich das beeinflusst.
Was ich damit meine, ist, dass der zeitraum - die 10 h, die man nur fatzer gemacht hat - natürlich auch die ganze situation anders färbt - die zuschauer nach ein paar stunden anders disponiert sind als nach einer veröffentlichung wie am 12.12.99 - und wir auch, offener und angreifbarer."

Man muß sich wahrscheinlich von der Ansicht verabschieden, daß man nur in Einzelaktionen und in einer bestimmten Direktheit (Herumtragen, Umarmen oder Anspucken von Zuschauern etc.) dem Publikum begegnen kann. Der direkte physische Kontakt mit Teilen des Publikums ist sicher eine Form, auf das Publikum zu reagieren. Wann aber solche Kontakte angebracht sind und wie sie ausgeführt werden, hängt, glaube ich, von der Fragmenteingabe in Bezug auf "Fatzer" (nie wäre ich auf die Idee gekommen in der "Orestie" einen Zuschauer physisch zu berühren), von der Haltung/ Positionierung der Zuschauer, von der räumlichen Positionierung der anderen Akteure bzw. deren Aktionen und nicht zuletzt von dem ab, was man mit dem physischen Kontakt bezweckt bzw. wohin dies führen soll. Der physische Kontakt ist so zwar der direkteste Weg, sich auf einen Zuschauer zu beziehen, aber wahrscheinlich nicht der effektivste.
Eine zweite, aber sicherlich schwierigere Form den Zuschauer ins Spiel zu bringen, ist die der gesetzten Positionierung des Akteurs einer Zuschauergruppe gegenüber. In der "Orestie" ist es vor allem der Chor, der durch sein Umherziehen in den Räumen des Schlachthofes die Gänge der Zuschauer konditioniert. Meist bewegt sich der Chor dabei von den Zuschauern weg, eigentlich nie zu diesen hin oder durch diese hindurch. Der Zuschauer muß, je länger und dynamischer die Wege des Orestiechors sind, ebenso schnellere Bewegungsentscheidungen treffen. In "Fatzer" ist es von Fragment zu Fragment verschieden. Den weitesten Weg muß wohl wahrscheinlich ein Zuschauer zurücklegen, will er den Akteuren in B62 folgen. Den kürzesten Weg hat einer in B69 zu tun, wenn er von den Spielern umkreist wird und diese ihm den Text ins Gesicht sprechen.
Nach der letzten Veröffentlichung am 27.02.2000, bei der wir sowohl Teile der "Orestie" als auch Fragmente aus der vierten Arbeitsphase von Brechts "Fatzer" bearbeitet haben, ist mir in Bezug auf die Zuschauer besonders aufgefallen, daß ich diese deutlicher im "Fatzer" wahrgenommen habe als während des Orestieablaufes. Durch das in der "Orestie" festgelegte System, wonach der Chor und der Chorführer sich nur auf den Gängen des Schlachthofes zu bewegen und aufzuhalten hat, wird zum einen die chorische Wegbeschreibung präziser gesetzt und die räumliche Wahrnehmung gestärkt, gleichzeitig nimmt man die Zuschauer, die sich außerhalb dieser Bahnen bewegen, nur mehr indirekt als Schatten oder als Figuren wahr. Wird dann durch die Eingabe eines Fatzerfragmentes die "Orestie" unterbrochen, muß man sich erst einmal über die Positionen der Zuschauer im Raum klar werden, bevor man eine Aktion durch eine Bewegung oder durch das Sprechen von Text setzt. Grundsätzlich kann ich für mich sagen wird der Zuschauer in den Fatzerfragmenten besser und direkter wahrgenommen und konditioniert damit mein Tun und Sprechen mehr als in der "Orestie".
M.K.

"Eigentlich haben wir immer noch sehr wenig bezug zum text. Wir sagen oft "und dann hab ich den text gesagt" - so als ratterten wir ihn runter und dann ist es aus. Wie läßt man sich vom text leiten - dessen struktur usw.
Was heißt das auf zuschauer bezogen -
Das ist die möglichkeit einer entwicklung oder veränderung. Oder täuscht mich der eindruck, daß eine "szene" oftmals ihren charakter beibehält. Z.b., daß es eine radikalisierung gäbe in dem fragment. A 20 hat ja auch einen aufbau. Es beginnt mit einem satz, dann kommt die rede und es endet mit der der skizze der raum-zeitlichen anordnung der szene. Und es wäre die frage, ob man da eine relation zum spiel bekommt."

Mein Verhältnis zum Zuschauer - Versuch einer genaueren Beschreibung. A 20, Halle 2, Paarkonstellationen, wobei ich den Text zu sprechen habe

Ich versuche eine Situation der Einsamkeit, des "Sich-Zurückziehen-Wollens" herzustellen. Ich konstruiere in meinem Kopf zum Text, im Verhältnis zum Partner.
Fatzer/Koch/Mann will Frau/Therese; sie wartet aber auf ihren Mann, vielleicht will sie auch, aber es geht ihr auf jeden Fall zu schnell, sie will nicht überfallen, eingewickelt werden und muß erst über das Angebot nachdenken.
Der Mann ist ein rechter Wüstling, der nicht lange werben, sondern lieber gleich zur Sache kommen will. Er verbündet sich auf dem Weg zu ihr auch noch durch Blickkontakt mit einem Zuschauer und sie fürchtet schon, er würde den Zuschauer einladen, sie ebenfalls zu befriedigen.
(Vielleicht ist der Satz "das Weib sei frei aber keiner von ihnen dürfe etwas mit ihr machen" eine ironische, zynische Aufforderung unter Männern.)
Therese klemmt sich zwischen Säule und Gitter, fordert ihn auf, um sie zu werben, das Kunststück zu vollbringen, es ihr gleichzutun. Dies scheint ziemlich unmöglich, weil es zu eng ist, er aber nur so an sie herankommen kann.
Er zögert auf seinem Weg, sie will allein bleiben?
In diesem Moment kommt eine schlendernde Zuschauerin mit Händen in der Hosentasche vorbei und bleibt stehen. Therese ist nicht mehr allein, Thereses Spiel ist entlarvt, warum sich zwischen zwei Eisenteile klemmen, wenn man daneben stehen kann?
In der plötzlichen, sich durch die Nähe der Zuschauerin ergebenden Not, die für mich die aufgebaute Situation zerstört und auf die mir in der Geschwindigkeit keine adäquate Reaktion einfällt, sage ich ihr den letzten Teil des Textes, eine Art Kommentar auf eine vorher von ihr verhinderte Situation ("Dies alles also in einer Szene die beginnt mit Fatzers Auftreten nach seinem ersten Ausbleiben . und unterbrochen wird durch die Erzählung des Chors der also den Beischlaf in dem Moment erzählt in dem er unten stattfindet"). Dies hätte sie also vielleicht zu sehen bekommen, die Zuschauerin, hätte sie sich nicht mit Therese verbündet. Ich weiß gar nicht, ob sie es so empfunden hat, für mich war mit ihrem Auftreten die von mir geplante, konstruierte Situation vorbei.
Ich hätte ja auch blitzschnell unser Verhältnis verkehren können (Sie Therese und ich Betrachterin). Aber wie?
T.Z.

"Bleibt oder entsteht die frage, ob's so eine art grundintention gibt, einen text zu vermitteln.
Ich würde es "interaktive Textrepräsentation" nennen, wenn das in irgendeiner weise mit dem text gleichgeschaltet wird. Ich glaube, das würde wieder ein sehr einfaches verhältnis - quasi als "dramaturgische interpretierbarkeit", die die anwesenheit erklärt und absichert.
Es geht doch darum, inwiefern man die zuschauer involvieren kann - sich konkret darauf beziehen. Grade wenn man vorher eine theaterszene aufgebaut hat, die z.b. dann zu brechen. Mit dem zu spielen.
Das rechnet überhaupt nicht mit dem, dass die andern paare eh schon einen andern umgang mit diesen textsorten haben. Als ob nur du in deiner eigenen echtzeit praktisch das alles unterbringen willst, was sich über eine konstellation der drei paare doch viel weiter spannen lässt - und die zuschauer das schon mitkriegen.
Du hältst den zuschauer für aufnahmefähiger als ich - das hat vielleicht damit zu tun, daß ich von meinen prämissen ausgehe und bei einer aktion und beim eigenen sprechen die anderen zu wenig höre - was der zuschauer natürlich schon kann - könnte."
Interessant auch die Frage, wie/als was ich im Spiel - abhängig von den o.g. Konstituenten, von der Spielerfahrung und dem konkreten Verhalten - den Zuschauer wahrnehme, nämlich je nachdem als Individuum, als Gestalt im Raum, als Teil einer Formation, einer Konvention (z.B. eines Paars, einer Clique), als Menge, Haufen, Ansammlung. Und je nachdem als Forderung oder als Energieloch. Die größte "Forderung" hinsichtlich der Gesamtsituation ging aus bei MASSAKERMYKENE VIII, ein "Orestieversuch", als die Zuschauer fast alle sich aufgrund der Kälte in die roten Decken gewickelt und dadurch ihr "Privates" verloren hatten - auch der Gang verändert sich, und die Aufmerksamkeit auf die eigene Positioniertheit im Raum. Aus dem gewöhnlichen Nicht-Verhältnis der Zuschauer als Zuschauer untereinander wird ein Verhältnis - eine merkwürdige Art von Gemeinschaft vielleicht, so schien es, gestalthaft-markiert verbunden, aber nicht imaginär.
C.S.

"Der Erfolg, ja das Überleben der Künste hängt mehr und mehr davon ab, ob es ihnen gelingt, das Theater zu überwinden. Dies wird vielleicht nirgends so deutlich sichtbar wie im Theater selbst, wo das Bedürfnis, das zu überwinden, was ich Theater nenne, vor allem in dem Bedürfnis spürbar geworden ist, eine drastisch veränderte Beziehung zum Publikum aufzubauen. (Die relevanten Texte sind natürlich Brecht und Artaud.) Denn das Theater hat ein Publikum - es ist für es da - anders als die anderen Künste."
Gesprächsnotizen A.P., C. S.

Stand April 2000


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