theatercombinat | märz 2001 – 07.02.03 anatomie sade/wittgenstein – eine choreographische theaterarbeit in 3 architekturen: ehemalige lederfabrik, johannagasse 2, 1050 wien | IP.TWO, lerchenfelder gürtel, 1160 wien | halle g, museumsquartier, 1070 wien (a)
sprache: deutsch |
publikation
buchrezensionen
111 minuten skizzen (ehemalige lederfabrik)
body and building under construction (IP.TWO)
body, building and theory under construction (IP.TWO)
embody (halle g)
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falter 42/02 hose runter!
tanz den ludwig wittgenstein: die neue zumutung der extremisten vom theatercombinat wien.
von wolfgang kralicek
eine frau zieht ihr oberteil aus und spielt mit ihren brüsten. ein mann holt seinen penis aus der hose und wichst. eine frau fällt auf den boden. ein mann zwickt sich in die brustwarzen. eine frau entößt ihre scham.
soweit die höhepunkte aus der fast drei stunden langen produktion „anatomie sade/wittgenstein“, die das theatercombinat wien derzeit in einem rohbau am lerchenfelder gürtel zeigt. verglichen mit der letzten wiener arbeit der gruppe, der 36-stündigen performance „massakermykene“ im schlachthof st. marx (dezember 2000), ist die aktuelle inszenierung zwar erstaunlich kompakt geraten; in der kälte der nacht, ohne sitzplätze und klassische dramaturgie sind aber auch drei stunden eine ganz schöne zumutung.
konventionelle produktionsbedingungen lehnt das von claudia bosse und josef szeiler (der diesmal nicht beteiligt war) gegründete theatercombinat einigermaßen radikal ab: der monatelange „arbeitsprozess“ (für „anatomie sade/wittgenstein“ begannen die vorarbeiten bereits im april 2001!) ist mindestens so wichtig wie die aufführungen, die entsprechend vorsichtig als „präsentationen“ bezeichnet werden. auch von „rollengestaltung“ oder „textinterpretation“ im herkömmlichen sinn kann hier keine rede sein: „die texte werden nicht bebildert, sondern sind assoziative, methodische hintergründe der körperforschung“, heißt es im konzept zur aktuellen arbeit.
der sechsgeschoßige betonbau („betreten der baustelle auf eigene gefahr“) wird von drei frauen und zwei männern bespielt, die hin und wieder wittgenstein-sätze (aus dem „tractatus logico-philosophicus“ und dem text „über gewißheit“) skandieren, meist aber nur ihre – mehr oder weniger bekleideten – körper sprechen lassen, wobei sich jede/r einzelne ein eigenes gestisches repertoire angeeignet hat. im stiegenhaus stehen rosa sofas, auf denen durchwegs (mit pelzmänteln) bekleidete damen liegen und ungerührt aus de sades ausschweifender „philosophie im boudoir“ vorlesen. der besucher kann sich im ganzen haus frei bewegen und entscheidet selbst, was er sehen will.
mal bespielt jeder akteur ein stockwerk für sich allein, mal kommt es zu begegnungen (ausnahmsweise auch zu tanzsequenzen); mal rasen die darstellerinnen keuchend die stiegen auf und ab, dann wieder verharren sie minutenlang fast still. von längen zu sprechen wäre schon deshalb lächerlich, weil der ganze abend eine einzige länge darstellt; dafür hat man auch genug zeit, über die eigene rolle in diesem seltsamen spiel nachzudenken: worauf schaue ich, wenn ich den körper eines schauspielers betrachte? was denkt dieser, wenn unsere blicke sich treffen? der zuschauer wird sich seiner rolle als voyeur bewusst, sogar nacktheit ist auf einmal wieder ein thema. in diesem sinne: ein spannender abend. |
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city, 43/2002 SADISMUS AM BAU
von ewald schreiber
von dem, was landläufig unter "theater" firmiert, halten die leute vom "theatercombinat" offenbar wenig. sicher. text ist vorhanden - diesfalls entsprechend dem titel ihrer jüngsten produktion "anatomie sade/wittgenstein" solche der denkbar konträren philosophen. auch an darstellern, vor allem deren oft nackten körpern, herrscht kein mangel. aber handlung oder charaktere sind für projektleiterin claudia bosse theater-schnee von gestern. auch der klassische bühnenraum - kathedrale und lusthaus des bildungsbürgertums vergangener jahrhunderte - hat ausgedient. "gespielt" wird in einem rohbau am lerchenfelder gürtel. auf sieben etagen skandieren die "mimen" l.w. tractatus und ausschweifende passagen aus m. de sades 120 tagen von sodom. vor allem aber entblößen sie immer wieder ihre leiber, recken die primären und sekundären geschlechtsmerkmale den zuschauern entgegen, die wohl oder übel die hauptrolle des voyeurs übernehmen müssen. auch auf der metaebene: die beobachter beobachten die beobachter beim beobachten. mitunter befummelt frau die eigenen brüste oder wichst mann. auch ein höhepunkt. oder die performer lassen sich auf den harten betonboden fallen, bis die knie bluten. die drei langen stunden wollen als körper-im-raum-recherche verstanden werden, als brutaler koitus zwischen der intimität des menschlichen leibes und der trostlosen nacktheit des urbanen raums. sie dürfen aber auch als SM-Experiment in sachen publikumsfernhaltung missverstanden werden. |
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theater der zeit, dezember 2002
wiener "theatercombinat lädt zu "anatomie sade/wittgenstein"
von cornelia niedermeier
manchem theaterprojekt ist es gegeben, vorab klar zu stellen, dass es mitnichten als unterhaltung genossen zu werden wünscht. wenn eine produktion des stolzen namen „anatomie sade/wittgenstein“ trägt und zudem in einer feuchten novembernacht bei null grad außentemperatur zur vierstündigen „horizontalen“ fassung in die frischbetonierte baustelle eines gewerbe-rohbaus am vierspurigen dichtbefahrenen lerchenfelder gürtel wiens lädt, ist eines schnell klar: konsum ist hier nicht gefragt. das publikum kommt, zahlt und friert für freiwillig erbrachte anstrengung, samt eventuellem erkenntnisgewinn. insofern ist die teilhabe an einem der selten mühsalsfreien, stets von streng ritualisiertem, humorfernem ernst getragenen abende des „theatercombinats“ vor allem inhalt ein bekenntnis. abschied von der außenwelt der weichen lockungen (wärme! sessel! zentralheizung!) und beitritt zur stolzen schicksalsgemeinschaft der letzten theater-asketen. für wenigstens vier stunden. oder auch, heimlich weniger...
es wäre nun ein leichtes, das pathos des widerstands, der unbedingten intellektualität und philosophischen durchgeistigung, das dem rohbau-projekt zugrunde liegt, wie jedes andere unterwerfung einfordernde pathos dem befreienden gelächter preiszugeben. zumal der großteil des rigiden konzepts der choreografischen theaterarbeit dem – unvorbereiteten – publikum verborgen bleiben muss. wer sich ohne wochenlange de sade- und wittgenstein-lektüre auf die kühle nacht der körper einlässt, dem erschließt sich kaum, wie die choreografien „aus der perspektive dieser differenten sprachlichen konstruktionen“, so die selbstbeschreibung des projekts, entwickelt wurden. noch ist er in der lage, das gesehene wahrzunehmen als untersuchung, „wie diese texte auf den unterschiedlichen physiognomien und anatomien spuren hinterlassen oder verschwinden hinter den muskulären und sozialen gravuren des jeweiligen körpers. sie sind der methodische und situative blick der körperforschung.“ für die untersuchung der indizierten spuren fehlt ihm nicht zuletzt die kenntnis des status quo ante der zu erforschenden körper.
was er tatsächlich sieht, ist wenig aufregend. sich seinen eigenen weg durch kabel und kübel des rohbaus erstolpernd, betrachtet er aus also subjektivem, individuell gewähltem blickwinkel: mönchisch streng gewandete tänzer und tänzerinnen, die sich eine anfängliche viertelstunde lang, im parterre, wittgenstein skandierend, um die eigene achse drehen. die dann, stock für stock, stunde für stunde, die oberen stockwerke erobern, sich mit zunehmend entblößten körperteilen kälte und beton aussetzend, den prüfenden blickkontakt – voyeurismus! – zum publikum aufnehmen. im treppenhaus, auf rosa plüschsofas, damen in sacher-masoch'schem venuspelz, sade lesend, synchron oder vereinzelt. in thermoskannen wird, weniger stimulierend, als schlicht erwärmend, früchtetee gereicht. wissenschaftliche genauigkeit, wie sie das „theatercombinat“ mit seinen arbeiten postuliert, erfordert zeit, ausdauer und hingebungsvolles studium. weshalb das einzig adäquate zielpublikum der gruppe stets die mitwirkenden bleiben werden, die die abende in 18-monatiger recherche erarbeiteten, beziehungsweise interessierte begleiter – wissenschaftliche mitarbeiter oder (beton-)mauerspechte – des in der entstehung begriffenen ganzen. uns anderen bleibt der respekt vor dem bedingungslosen einsatz für die frage nach den archaischen grundparametern des theaters – körper, raum, zeit, subjektbegriff... und die stolze, aber doch künstlerisch unbefriedigte rückkehr in die warme stube der gegenwart. |
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