theatercombinat | märz 2001 – 07.02.03 anatomie sade/wittgenstein – eine choreographische theaterarbeit in 3 architekturen: ehemalige lederfabrik, johannagasse 2, 1050 wien | IP.TWO, lerchenfelder gürtel, 1160 wien | halle g, museumsquartier, 1070 wien (a)

sprache/language: deutsch, english

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publikation
buchrezensionen

111 minuten skizzen (ehemalige lederfabrik)

body and building under construction (IP.TWO)


body, building and theory under construction (IP.TWO)


embody (halle g)

  «anatomie sade/wittgenstein» war eine theatrale recherche über eine dauer von 20 monaten und bewegte sich an den schnittstellen von tanz, theater, bildender kunst und performance. drei unterschiedliche gebäude in wien wurden räumlich-choreographisch untersucht: ein leerstehender industriebau (ehemalige lederfabrik, johannagasse), ein gewerberohbau (IP.TWO, lerchenfelder gürtel) und eine hochkulturrepräsentationshalle (halle g, mq).

«anatomie sade/wittgenstein» folgte in den motiven texten von marquis de sade und ludwig wittgenstein («die philosophie im boudoir» und «die 120 tage von sodom»; tractatus logico-philosophicus» und «über gewissheit»). die texte wurden nicht bebildert, sondern waren assoziative, methodische hintergründe der körperforschung. die choreographien wurden aus der perspektive dieser differenten sprachlichen konstruktionen entwickelt.

untersucht wurde, wie diese texte auf den unterschiedlichen physiognomien und anatomien spuren hinterlassen oder hinter den muskeln und sozialen gravuren des jeweiligen körpers verschwinden. die texte waren der methodische und situative ansatz der körperforschung.


für fotostrecke anatomie sade/wittgenstein klicken   konzept, choreographie: claudia bosse, choreographie, spiel: markus keim, andreas pronegg, christine standfest, doris uhlich, gäste seit 08/02: maya bösch (choreographie, spiel), martina luef (installation), gini müller (kontext), anne schülke (kontext), lesende: ingrid radauer, susanne peterka, uschi halmagyi, ilse urbanek, elfi sus u.a. trainings: milli bitterli, georg blaschke, christine kono, loulou omer, iwan wolfe.

arbeitszeit: märz 2001 - november 2002, januar 2003; präsentationszeit: 4 mal 111 minuten (april - mai 2002);
9 präsentationen zu 3, 4, und 7 stunden (oktober - november 2002); 1 präsentation zu 2 stunden (07.02.03)

partner: porr, BKK-3, brick-5, tanzquartier wien, prisma, eurofoa

unterstützt von wien kultur


körperforschung
claudia bosse

  körperohnetext. artifizielle bewegung versus sozialcodierte bewegungsmuster.

der körper wird durch die untersuchung von einzelnen körperpartien erkundet, durch die bearbeitung von «ausschnitten» rekonstruiert und als bewegbares, sowie veränderbares material ergründet.

die akteurInnen setzen durch diese erkundung mit einem selbstdefinierten bewegungsablauf einen rhythmus fest, gegen oder mit dem er/sie in folge arbeitet. d.h., der zu bearbeitende rhythmus ist kein fremder, wie bei einer arbeit mit texten, sondern der eigene selbstbestimmte rhythmus, der über häufige reproduktion wieder fremd wird.

der körper wird als zu bewegende individuell geformte körpermasse begriffen. es wird versucht, seine spezifischen sozialen körperlichen prägungen muskulär sowie in haltungen zu erfassen. nicht eine äussere form ist motor der bewegung, sondern ein ausprobieren von muskelpartien, bewegen von fleischmasse, durchlassen von impulsen. bei jeder bewegung ist nicht die originalität der äusseren form interessant, sondern die haltung, wie eine bewegung ausgeführt wird, die benutzung der fixierten form in der jeweils konkreten raum-zuschauer-konstellation.

 

arbeitsansätze/raum-konstellationen
claudia bosse 01/2001

 

1. zuschauerkommunikationen

voyeurismus bewusstes zeigen quasi intimer vorgänge, inkludiert peinlichkeit und scham, operiert mit eben diesen gefühlen des betrachters und seiner betrachterperspektive.
(der akteur handelt freiwillig und entscheidet innerhalb bestimmter regeln die gestalt seines tuns. intimität der gleichzeitigkeit von erfinden, und eben dieser erfindung eine gestalt zu geben, die man zuvor noch nicht kennt. der betrachter entscheidet mit die verhältnisse von nähe und distanz.)

gezeigte interaktion in der interaktion mit zuschauern wird interagieren als einverständnis gezeigt. der moment der interaktion hat regeln und nur bestimmte möglichkeiten der reaktion, die durch die art der aktion vorstrukturiert sind. was ist eine situation, in der man als spieler eine lücke lässt, die für den zuschauer interaktion möglich macht, wenn er die lücke wahrnimmt, aber sie nicht notwendig erzwingt? (der spieler wird in dieser situation zuschauer des zuschauers und der gesamten situation. der zuschauer wird als handelnder und nicht als betrachter adressiert, in einer gleichzeitigkeit von spieler und zuschauer.)

verdeckte interaktion/interaction masqué oder interaction caché die interaktion ist nicht reines ziel des spiels. sie ist list oder luxus der situation. es gibt interaktionen, die ein dritter zuschauer als solche erkennt, die aber dem interagierenden zuschauer nicht notwendig bewusst werden. die interaktion wird nicht unbedingt einverständig sichtbar, sie findet statt und wird in diesem stattfinden nicht ausgestellt/ gezeigt. simple reiz-reaktionsmuster werden nicht bedient, sondern theatral bearbeitet.


2. körperbilder/sprachen/zeiten

kraftverhältnis zwischen körpern und raum die arbeit in riesigen räumen zwingt dem körper eine extreme disziplin auf, in diesen räumen zu bestehen. die möglichkeiten des körpers und der sprache werden extrem vororganisiert, weil die aufgebrachte kraft der spieler der gewalt des raumes standhalten muss. die furcht vor dem raum ist nach zwei jahren arbeit gesunken. es besteht ein interesse an anderen körperbildern, anderen sensibilitäten, anderem geschlechtlichen ausdruck - vom körper ausgehend das theater zu beschreiben.

geformter körper durch trainings werden die körper geformt, bewusst gemacht, ihre soziale formung bearbeitet und/oder korrigiert. dies erweitert die möglichkeiten von körperlichem handeln und kann auch neue möglichkeiten der körperlichen phantasie öffnen.

ausschweifender körper körper, der aus einer form ausbricht, sich einer formierung entzieht, ungeordnet ausdruck wird einer nicht zuvor gewussten wirkung. etwas zu versuchen mit dem körper, was man nicht bereits kann. unbewusstes tun, rauschhaftes handeln, identifikation mit einer bewegung, unkontrollierter ausdruck.

sprechender körper rhythmus und gestus von sprache organisieren den rhythmus und gestus des körpers. der atem und die beschaffenheit der sprache formen den atem und die beschaffenheit des körpers. die raumgrösse und entfernung des adressaten bestimmen den aufwand des sprechens und somit den aufwand des körpers. der körper kann den gesetzen des sprechens untergeordnet sein, oder aber man kann den körper der sprache und der organik des sprechens entgegensetzen, d.h. im körper widerstand beziehen aus der spannung zwischen sprechvorgang und entgegengesetztem körperlichen tun.

chorischer körper der chor als körper formt sich und jeden einzelnen körper des chores. der versuch ist ein energetischer austausch, ein sich gegenseitig formierendes ganzes.

reagierender körper die reaktion des körpers auf eine situation, auf einen anderen körper, eine andere organik. die form und qualität der reaktion (impulsiv, verzögert, sprachlich, körperlich) bestimmen die veränderung und ihr ausmass für das ganze.


3. raumkörper/körperraum

der nachträgliche raum gebündelter körper/chor. dh. das distanzverhältnis der körper zueinander ist meistens gering. man durchschneidet den raum. die addition von augenblicklichen bewegungen auf der stelle ergibt eine spur. der verlauf beschreibt den raum, der sich nachträglich konstruiert.

gespannter handlungsraum der aktionsraum bezieht sich auf die architektur des realraumes. das raumgefüge wird durch das verbindungsnetz der spieler gespannt, setzt sich als raumgefüge in einen raum. dieser raum kann sich durch wege / aktionen / veränderung der positionen der spieler zueinander permanent verändern. jeder spieler und auch zuschauer, befindet er sich innerhalb dieses gespannten raumes, kann den raum verändern. (interaktionsraum für die interaction caché)

der gleichzeitige raum von einem konzentrierten raumausschnitt aus setzt der spieler sprache und bewegung, die zwar zunächst einen kleinen aktionsraum haben, sich aber durch bewegungs/sprachrichtung, spannung, energie und konzentration auf das ausmaß des gesamten raumes beziehen.

raumspuren/skandierter raum das raumwirken des einzelnen körpers ist auf der stelle. durch die fortbewegung, die spuren der einzelnen körper, die addition ihrer bewegungsrichtung und örtlichen veränderung wird der raum beschrieben.

additiver raum der gespannte raumkörper oder der spuren hinterlassende körper bildet eine vernetzung unterschiedlicher raumausschnitte, die ein spezifisches verhältnis zum gesamtraum eröffnet. die einzelnen raumausschnitte sind nicht von einem betrachtungspunkt aus zu erschliessen. als zuschauer bin ich in räumen, verlasse sie, trete in wieder andere ein. die fortbewegung des zuschauers ist für diese wahrnehmung notwendig. (erinnerung. herausbilden eines raumgefühls beim spieler durch erfahrungen und gefühle während der proben.)


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