dossier
pressespiegel
abendzettel
pressestimmen
reflexionen:
- edith hall (professorin für altgriechische literatur)
– dr. laura gianvittorio-ungar (senior postdoc, forscherin griechisches theater)
- constantin leonhard (schauspieler, regisseur und performer)
bei interesse: vollständige audiovisuelle dokumentierung der performance auf anfrage: buero@theatercombinat.com
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tantalus, in ewigem hunger und durst von den göttern als strafe auf den tartarus felsen gebunden, wird durch die furie aus der unterwelt gezerrt, um den fluch über seine familie und die feindschaft zwischen seinen enkeln atreus und thyestes zu verlängern. im kampf um die vorherrschaft über mykene schmiedet der betrogene atreus einen grausamen plan: er lädt aus angst vor einem bürgerkrieg seinen verbannten bruder und dessen söhne ein, die macht über mykene fortan gemeinsam zu teilen. thyestes wird opfer der inszenierten rache von atreus, der die söhne seines bruders in einem ritual tötet und thyestes zum fraß vorsetzt. dieser verschlingt unwissend, in der gewissheit anteil an der macht zu haben, seine eigenen söhne. aus entsetzen vor diesem unvorstellbaren verbrechen bricht der kosmos zusammen und das tageslicht schwindet für immer.
gegenwärtige leiber, die mit ihrer biografie,
die in ihr fleisch eingeschrieben ist,
der antiken überlieferung eines bruderkampfes begegnen,
diesen durch sich und in sich bewegen.
das ergebnis spucken sie aus. cb
claudia bosse inszeniert thyestes von seneca als eine begehbare text-raum-choreographie fragiler körper, die auf die sprache des römischen imperiums treffen. sprache, die nackte leiber bewegt und
von ihnen bewegt wird. sprache, die in ihrer explizität überrascht und unsere vorstellung herausfordert: einverleibung, sprechen, schlucken, atmen, essen. die fünf akteur*innen ergreifen die figuren tantalus, furie, atreus, thyestes, bote. sie sind zugleich der chor und verhandeln den sich stetig überbietenden rachedurst.
eine ehemalige kantine des siemenswerkes wird zum ort für die aus- handlungen der choreografischen inszenierung: eine werkskantinen-architektur für die reproduktion von arbeitenden und angestellten im design der globalisierung der 1980er.
im verhandeln von vergangenem und zukünftigem berührt der antike theatertext die gegenwart: die gewalt des mythos, der einen kreislauf des wettbewerbs und der produktion von rache auslöst, während territorium, macht, eigentum und (familiäre) solidaritäten auf dem spiel stehen. fragmente aus „grundrisse der kritik der politischen ökonomie“ von karl marx konfrontieren die sprache von seneca mit ökonomien der gegenwart, der zirkulation von rohstoffen, menschen, waren und kapital, bis die welt im ökologischen chaos versinkt.
eine geschichte der (re)produktion von schuld und rache, ein konflikt um unbedingte macht und überlegenheit. atreus lässt seinen bruder thyestes unwissend die eigenen kinder verschlingen. in einem zyklus von gewalt wird das verdauen der eigenen kinder zu einem akt größter zärtlichkeit. ein lokaler jugendchor erweiterte im 4. akt des stückes den raum-durchwandernden chor-organismus.
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