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text von herbert justnik
reflexionen über die schritte des projektszyklus IDEAL PARADISE als teil der performance IDEAL PARADISE clash, live geschrieben während der aufführungen am 4. + 5. märz in der halle G, tanzquartier wien |
performance 1: 4. märz 2016
performance 2: 5. märz 2016
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Das Archiv davor.
Graben nach Erinnerungen. Eine Spur zu fassen bekommen. Dem Entwischen entgegenstehen. Wo beginnen. Am Anfang. Vier Ereignisse sind es von denen berichtet werden soll. Eines davor, das sie auslöste.
Ein Abendessen. Ich erzählte von meiner laufenden Ausstellung. Ein aufgelöster Haushalts- und Eisenwarenladen. Auf zwei Bühnen in den Ausstellungsräumen von BesucherInnen aufgebaut. Arrangements, die die KuratorInnen und DramaturgInnen scheinbar überflüssig machen. Die Erzählung fand ein Ohr an dem Abend und fand zu Claudia Bosse.
Drei Tage von Ausstellungsende. theatercombinat kommt ein paar TänzerInnen hoch im Volkskundemuseum Wien an. Treffen in der Ausstellung ein. Ein kurzes Hallo, dann Aushandeln der Bedingungen. Eine Ausstellung, die das aktive Eingreifen von BesucherInnen herausfordert, hat dann doch nur ein bedingtes Set an Möglichkeiten. Aushandlung abgeschlossen. Kurator ab zur parallel laufenden Tagung. Tagung zu Fragen musealer Ethik. Das kleine, wunderliche Haus in der Laudongasse zittert ein wenig, weitere Veranstaltungen parallel. Ungewohnt für einen Ort, der sich mit den scheinbar stillen BesucherInnen lange abgefunden hatte. Während Kurator und Dramaturgin konzentriert der Tagung und ihren etwas diffizilen Themen folgten, arbeitete theatercombinat. Leise und scheinbar konzentriert. Eigneten sich Flaschen, Werkzeug, Ofenrohre, Teller, Gummiringe und anderes an. Arrangierten neu, verschoben, bauten, ordneten - nach Farbe … tja, leider keine Museumsobjekte, sondern Dinge die auf der Brücke zwischen Alltag und Museum verharrten. Museumsobjekte einem scheinbar kontingenten Kriterium nach zu ordnen - was wäre Farbe in einer museal-ernsten Begrifflichkeit für eine Kategorie, um funktional zu distantes zusammenzubringen? Humor ist noch nicht unbedingt das Hauptkennzeichen von Museen … Auf der Hauptbühne entstand eine fingierte Paradiesesinsel, mächtig alle vorhergehenden Ding-Arrangements überragend, die sich im Lauf der Ausstellung entwickelt hatten. Laden voller Glühbirnen, Schrauben, Messer, Servietten, … zogen sich den Boden dahin, türmten sich zu Architekturen auf, verstellten den Weg. Tagungsblock zu Ende. Auftritt der AusstellungsmacherInnen. Unruhig begeistert der eine, abwehrend schockiert die andere. Die Kluft musste stehen bleiben, die nächste Veranstaltung verlangte unmittelbare Aufmerksamkeit, theatercombinat auch schon weg. Zwei weitere parallele Veranstaltungen später der Abend zu Ende, Flucht des Kurators vor Erschöpfung. Dann das sprechende Ausdifferenzieren. Der Eingriff von theatercombinat schien Grenzen überschritten zu haben, schien sich zu mächtig über alle vorher von BesucherInnen gesetzten Arrangements - Weihnachtskeksformen, die sich zur Versammlung trafen, Plastikwannen die allegorisch den Great Garbage Belt im Pazifik aufriefen, Schraubenschachteln die zur Großstadtarchitekturen umgebaut wurden, mikroethnografische Untersuchungen von formgebenden Werkzeugen in der Küche - das zerteilende, zerstörende Messer als das wesentliche Werkzeug der Formgebung in der Küche … Über all das schienen sich die Eingriffe von theatercombinat geschoben zu haben. Schienen. Die Räume und Möglichkeiten des Eingriffs waren davor abgesprochen, es gab Einverständnis. Doch das schiere Volumen der unmittelbar erscheinenden Setzung war einfach massiv. Zog immer wieder Reflexionsschleifen nach sich. Die Fragen wie ein Publikum anzusprechen sei, das immer noch den Auratisierungsapparat des Museums als ehrfurchtgebietende Schwelle erlebt. Fällt sie weg, bleibt sie dennoch als Konditionierung bestehen. Adressierung von BesucherInnen musste aktiv, mit unterschiedlichen Mitteln passieren. Dann kam Engagement. Dieses gewohnte Setting erlebte am Ende ein ziemlich disruptives Moment - eine Öffnung dennoch. Das Agieren von theatercombinat in der Ausstellung trieb das Denken über prozessuales Ausstellungsmachen weiter. Und es führte zu einem weiteren Engagement von theatercombinat im Volkskundemuseum. Doch das ist nicht die nächste Türe …
Das Festival urbanize. Stadt im Stadtraum zum Thema. Ich komme hastig an, zwischen Terminen. Die BesucherInnen der Aufführung warten in der Kälte. Dann raus aus dem Festivalzentrum. Ein paar Meter. Eine fast schlundartige Öffnung in ein hohes Stockwerk tiefer. Das Publikum über Geländer zweier brückenartiger Bauten in der Tiefe suchend. Massiv schieben sich U-Bahnzüge hinter magerem Gitter in der Tiefe vorbei. Eine erläuternde Einführung. Manches aufwerfend, hinweisend, mehr auffordernd. Die TänzerInnen - drei am Anfang? - sich aus und durch das Gebüsch der Brache arbeitend. Klang, Musik, … aus den Lautsprechern, die davor die Einleitung verstärkt hatten … schien nicht ganz zu funktionieren, der Klang sonderbar mit der Architektur verschmolzen, suchend weiter. Die dritte Performerin kam in den Wahrnehmungsbereich, schälte sich aus einem Seitenschlund heraus. Dem Ende zu löste sich der Klang aus dem Untergrund der Brücke, doch Lautsprecher, aber ein Cello verstärkend.
Eine Tänzerin adressierte das Publikum. Wie? Verschüttet in der Kälte der Erinnerungen. Die BesucherInnen setzten sich in Bewegung, ungeordnete, amorphe Streuung. Stauend vor der Ampel einer mehrspurigen Straße, dann ein Ruck und die Gruppe schob sich bei Rot hinüber. Drüben ruhiger voran. Wieder Klang, Geräusch, noch weniger identifizierbar im Ersten. U-Bahnräder-Gequietsche? Bauarbeiten? Fragendes Diskutieren, woher, zur Performance? Dann trat der nächste Tänzer in den Blick. Silberfarbender Ganzkörperanzug, zwei Megaphone wie Engelsflügel am Rücken - er allein? Da schimmert eine Scheme um ihn herum, etwas entfernt noch ein Fleck in der Erinnerung, zu unscharf. Die ungeformte Gruppe hatte der Anlass und die Architektur geordnet. Die Freitreppe hinter dem Museum für Angewandte Kunst mit ihrem kreisrunden Ausschnitt über den Köpfen, konfigurierte die Aufstellung des Publikums um den Engel. Den schneidenden Engel. Kein Schalmeienklang. Zumindest gibt die deutliche Erinnerung an die Massivität der Architektur dieser Aufstellung des Publikums genügend Plausibilität.
Weiter. Die Guide voran? Die TänzerInnen nicht im Blick. Davor noch aus der Beobachtung des Geschehens herausgerissen worden - das irritierende Muss der professionellen Begegnung, die die Rolle als Zuschauer stört … Nächste Sammlung der dahintröpfelnden Bewegung an einer Brücke über den Wienfluss. Platz suchend. Heraustretend die Bewegungen des Publikums verfolgend, eine Lücke wieder findend. Irritiert, Schreien, wo? In der Distanz eine Tänzerin, unten beim Wasser, hektisch, verstört rufend, schreiend? Beklemmend und fordernd zugleich. Oder waren das Appelle?
Claudia Bosse übernimmt wieder die Erläuterungen. Diesmal offensivere Involvierung des Publikums. Entlang eines Straßenzuges sollen wir uns zum Raum verhalten. Posen einnehmen im Verhältnis zu gewählter Architektur. An die siebzig, oder mehr?, Personen platzieren sich am schmalen Grün, groteskes Bild starr, nicht immer nachvollziehbar verharrender Menschen - da gibt die Logik der Handlungsaufforderung wohl der Erinnerung Nachhilfe, nur wenige klare Bilder in der Erinnerung
abrufbar, mit der Anstrengung der eigenen Pose beschäftigt. Und dem Drängen des Terminkalenders, der vor längerem das Gehen schon gefordert hatte …
Hier bräuchte es nun das Aufzeichnungsmedium Terminkalender - wie sehr ist es Planungswerkzeug, wie sehr Speicher? Die exakten Daten lassen sich nicht abrufen. theatercombinat zuvor im Volkskundemuseum oder im Haus des Meeres? Das kann geprüft werden. Nach Hause geht´s zum Schluss.
Das Haus des Meeres. Immer noch eiskalt. Komisches Befremden beim Betreten einer Institution die zuletzt der Schüler gesehen. Antiquiertes typisch naturwissenschaftliches Museumsdisplay. Wartend im Erdgeschoss schon von der Eröffnung des Museums gefangen genommen. Ein Wasserbecken, Fische saugen an den Fingern. Kalt-angenehme Körper, zögernde Griffe. Auch hier gab es eine Einführung. Des Inhalts? Weg, nicht mehr abrufbar. Ein, zwei Körper im Aufzug verfrachtet, gequetscht zwischen den Türen? Ein Tänzer im anschließenden Raum. Äußerte er sich oder tastete er nur? Bosses Stimme aus der Lautsprecheranlage. Kommentar zu den Fluchtbewegungen nach Europa. Die Katastrophe deutlich machend. Unsicher suchend weiter im Gebäude. Im nächsten Stockwerk eine Tänzerin am Boden, sexuelle Gewalt thematisierend, Befremden über das aufdringliche Filmen der Tänzerin. In den Museumsräumen daneben ein, zwei Tänzerinnen? Den Fischen, Schlangen, Kröten, Getier verfallen. Die Performance als Hintergrundrauschen. Ertappt beim Verlust der Publikumsrolle. Versuch das Hören des Kommentars zur Weltlage wieder aufzunehmen, ins Beobachten einer Tänzerin mit Cello kippend, Ruhe suchend am Boden, der Blick wieder gefangen vom Getier ringsum. Weiterflanierend, ruhend sprechende, einen Text von Barthes in den Raum malende Performerin. Affen, klein, filmreif, wie urzeitliche Kommentatoren, des absurden Verhaltens das sich da hereindrängte … Das Oszillieren zwischen den unterschiedlichen Ebenen der Rauminszenierung angenommen. Das Hin- und Hergleiten, kurze oder lange Andocken am eigentlichen des Haus des Meeres, den TänzerInnen und ihrem Tun, Sprechen, Brüllen nachgehend genießen. Versinken in den ruhigen Bewegungen schillernder Fische im großen Aquarium, kommentiert von der Lage der Welt da draußen, so greifbar nahe, so deutlich die Aporien. Unmerklich schob sich alles die Stockwerke nach oben. Neue Stationen jedes Mal entwickelnd.
Am Dach, eigentlich den Aussichts- oder Kanonenplattformen des ehemaligen Flakturms, angekommen. Im Ohr das Elend der Flüchtenden, im Blick Straßenzüge in Wien Mariahilf, in denen sich in der Erinnerung diese Menschen hineinschieben, konkret vor Ort der Blick in warm beleuchtete Wohnzimmer, eine herrliche Aussicht über Wiens Dachlandschaft. TänzerInnen deren Handeln die Drastik der Gegenwart, die der Text präsent macht, noch unterstreicht.
Die Spuren der letzten Station aufnehmen. Eine schnelle Entscheidung mit kurzem Vorlauf eine Testaufführung im Volkskundemuseum stattfinden zu lassen. Aushandeln der Räume, die eröffnet werden können. Es muss schnell gehen. Zu vorsichtig eröffenbare Räume müssen wegbleiben, zu viel vorbereitende Gespräche wären nötig. Als pragmatische Entscheidungen. Für die Fotosammlung bin ich zuständig, hier braucht es kein Vorfühlen und Besprechen. Die Bibliothek und vor allem ihr Speicher erscheinen attraktiv, die schiere Wissensmenge und all ihre Andockflächen für die kurze Vorbereitungszeit zu viel. Also der Lesesaal. Der Hof - wir sind in einem Barockpalais - ist schnell integriert. Die Restaurierwerkstatt hat Schatten der Abwehr aus dem Haus heraus, wird aber Teil. Der Dachboden ist leicht gewonnenes Territorium. Begeistert und zitternd ob der möglichen innermusealen Konflikte aus dem kuratorischen Alltag heraus nur peripher die Entwicklung des Stückes mitverfolgen. Direktester Kontakt über Raumorganisation und Technik. Die Fotosammlung und ihre Ordnungen aufmachen, im Hektischen der probenden
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4. märz 2016
5. märz 2016
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Das Archiv davor.
Das Archiv wird fortgeschrieben. Drei Stationen theatercombinat in Wien gab es schon. Nun die vierte. Am nächsten. Eine Ausstellung die ich kuratiert habe war der Ausgangspunkt. theatercombinat nahm die Einladung sich im Volkskundemuseum Wien zu involvieren ernst. Erprobte das Jonglieren mit Objekten die sich quasi auf einer Brücke befanden, nicht mehr Alltagsding, noch nicht Museumsobjekt. Eine Ausstellung der Überbleibsel - ungefähr eine Tonne Material - in einem aufgelassenen Haushalts- und Eisenwarengeschäft. Von BesucherInnen des Museums auf zwei Bühnen verteilt. Immer wieder verändert.
theatercombinat kam dann wieder. Diesmal geplanter, nicht ein kurzer Versuch. Aber auch noch mit kurzem Vorlauf. Den ersten Schritt mit hohem Tempo angegangen. Ob weitere, sollte sich dann erst später zeigen. Der Kurator der Fotosammlung - der hier Schreibende - als Host und Vermittler ins Museum. Die kurze Anlaufzeit machte pragmatische Raumauswahlen notwendig. Welche Räume waren für TänzerInnen und Publikum gleichsam leicht zugänglich zu machen. Sensiblere Sammlungen, lange Gesprächshorizonte mit Sammlungsverantwortlichen kamen nicht in Frage. Die eigene Sammlung, die Fotosammlung des Museums, das eigene Terrain, war klar, hier gab es wenig entgegenzusetzen. Der Raum auch geeignet, der alte Pferdestall des Palais in dem das Museum situiert ist. Von dort die Treppen hinunter ein alter Weinkeller, von der Museumsvermittlungsabteilung genutzt. Der Bibliotheksspeicher war attraktiv, vor allem auch aufgrund des lange zurückreichenden Bestandes an wissenschaftlichen Kernpublikationen. Aber das hätte zu viel Recherche und zeitlich zu langwierige Auseinandersetzung erfordert. Die Begeisterung und Hoffnung hier eintauchen zu können war dennoch da, stieß auch beim Bibliothekar auf positive Resonanz. Tant pis, next time. Also stattdessen der Lesesaal der Bibliothek. Beide ein Stockwerk über der Fotosammlung, die von einigem unter Bodenniveau bis zum ersten Stock reicht. Über dem ersten Stock, der Dachboden, ein Teil als Restaurierwerkstatt ausgebaut. Diese zur Verfügung für theatercombinat. Mit Bauchweh. Daran anschließen ein weitläufiger Dachboden. Leicht zugängliches Terrain für die TänzerInnen. Von dort eine Dachgaupe mit Transportlift in den Innenhof. Der war sofort als Territorium für theatercombinat angeeignet worden. Der Hof, wie auch der Lift. Die dort ebenfalls angesiedelte Werkstatt wäre Sehnsuchtsort gewesen, hatte aber zu viel Projekte in ihr arbeiten, kein Ort für eine Aufführung diesmal, auch das sollte in Zukunft dann anders werden.
Konzentrierte Vorbereitungen von theatercombinat. Proben, Recherchen, Technikvorbereitungen. Ich aus dem kuratorischen Alltag heraus immer wieder peripher involviert, meist mit Raum- und Technikorganisation. Was sich bewegte, war nur im Nebenbei zu spüren. Gespräche, die in die Sammlungen erste Spuren zu legen versuchten. Graben in den Bergen der Sammlungsobjekte. Proben die im Vorbeistreifen etwas erahnen ließen, aber im Unklaren verblieben. Die ersten Ankündigungen gingen raus. Nach minimalen Probezeiten. Das Museum sollte also von TänzerInnen geöffnet werden. Räume die sonst nur in Sonderfällen der Öffentlichkeit zugänglich waren. Zum Teil für das Museum sehr intime Räume.
Die Aufführung an einem kalten Novemberabend. Der pitoresque barocke Innenhof, mit seiner mächtigen Pappel in der Mitte, hell im Licht der Inszenierung.
Einschub. Ein Tänzer fällt aus. Von einem Auto vom Fahrrad geholt. Äußerst schmerzhaft, nicht dramatisch, aber nicht tanzfähig. Ersatz muss her. Der Kurator, schnell gefragt, bekundet Interesse, aber Zeit und angeschlagene Gesundheit sprechen dann dagegen. Eine andere Laiendarstellerin springt ein. Wie sich bei der Aufführung herausstellen sollte, perfekt integriert in den Ablauf der Aufführung.
Der Innenhof und all die anderen Räumlichkeiten entlang des Parcours vom tiefen Keller bis in den Dachboden hell beleuchtet. Publikum trudelt langsam ein, empfangen von der im Museum angesiedelten Mostothek mit ihrem Mostheurigen, daran vorbei sich dann im Hof verteilend. Wartend, plaudernd, … oder auch nicht. Dann wird die Erinnerung unscharf. Claudia Bosse - selbst im silberfarbenen Ganzkörperanzug, wie all die anderen TänzerInnen - eine, oder zwei? in Gold - führt ins Stück ein. Die Performances werden an fünf Orten parallel stattfinden, es wird eine Sammlung im Innenhof geben und dann noch einen Durchlauf an den anderen Orten. Die BesucherInnen sind eingeladen sich frei zwischen all den Orten zu bewegen - was auch passierte, wenn auch bei der zwar räumlich nahen, aber dann doch weitläufigen Inszenierung dazu führte, dass nicht alle alles sahen … zu vielfältig die Details der Inszenierungen und der Orte im Museum. Dann wird die zeitliche Abfolge unklar.
Mitten die Sammlung aller TänzerInnen im Hof. Das Publikum an den Wänden um sie, in einem Durchgang, auf Bänken. Keine/r aber in den Aufführungsort sich trauend. Obwohl intendiert, die Stühle standen bereit. Am Boden des Hofes mit Kreide Grundrisse der Wohnungen der DarstellerInnen gezeichnet. Ineinander verschachtelt. Riesig erscheinend. Die TänzerInnen schritten ihre alltäglichen Rituale ab, vollzogen alltägliche Praktiken, verbanden diese mit der Biographie ihrer selbst und ihrer Wohnungen. Überlagert sie. Ein Stapel alltäglicher Erzählungen, aufgehäuft in einem Museum, das der Sammlung alltäglicher Kulturen und ihrer Objekte gewidmet ist. Die Praktiken die sie vollzogen zum Teil klar nachvollziehbar, vom Zähneputzen, über das Kaffeekochen, die Toilette, die digitalen Devices, … manches aber überhaupt nicht entschlüsselbar (manches dann überraschend Monate später plötzlich klar werdend) … Ein alltäglich scheinendes Ballett, das sich unseren Augen entzogen, jeden Tag neben unserem eigenen Alltag vollzieht. Das Publikum an die Wände gedrängt, die Blicke konzentriert in den Hof, Mostgläser in der Hand, vereinzelt Zigaretten. Ruhig und aufmerksam verharrend, keine Unruhen.
Das war mittendrin, davor gab es genug Bewegung. In der Bibliothek. Eine Tänzerin im silberfarbenen Ganzkörperanzug. Die Bibliothek wie aus einem Collegefilm inszeniert, gelblich warmer Schein aus grünen Lampenschirmen, nur das - oder war es nicht nur eines - im Licht? Zumindest die Aufmerksamkeit nahm damals nur dies wahr. BesucherInnen schüchtern an den Rändern des Lesesaals, oder sich auch nahe zur Tänzerin hinbewegend. Sie las aus einem Buch über Volkskunst. Eigentümliche Sprache, kein bisschen des Deutschen mächtig, deutsch lesend, dem Vorgelesenen etwas hinzufügend. Ein Buch über sogenannte "Volksreligiosität" und ihre Artefakte. Irgendwann vor den 1980ern, nach den 1960ern geschrieben. Heute unendlich weit weg erscheinend durch seine Sprache, auch die Präsenz des Religiösen im Alltag schon viel distanter, die Objekte - darum ging es diesem Museumskatalog hauptsächlich - teils sonderbar bizarr. Vom Vater des aktuellen Direktors geschrieben, der bei der Aufführung den Worten seines Vaters und Vorgängers lauschen musste. Die Tänzerin hin- und her zwischen dem Lesen des Textes, fragmenthaften Interpretationen durch Transponierung hinaus aus den Grenzen des Religiösen - Johannes des Täufers Kopf auf dem Tablett wurde zur servierten Gottheit, Gott der einverleibt und verdaut werden kann. In der Nacherzählung brüsk von der Frömmigkeitsspezialistin zurückgewiesene Interpretation. Dazwischen der Körper der Tänzerin, entrückt, sich wie in Ekstase in den Dunkelheiten des Raums bewegend, sich am Boden windend. Intensive, zum Teil innerlich ausweichende Reaktionen des Publikums - in der Nachbetrachtung. Jedenfalls Berührung. Vergnügter Austausch zwischen den ZuschauerInnen ebenso.
Die Restaurierwerkstatt. In Kisten sonderbares altes Zeug, scheint was gewesen zu sein, aber nicht erkennbar - der Blick der Spezialistin würde hier helfen, stattdessen Museumspapier darüber gebreitet, den Augen entzogen. Hinter einer Glaswand zeigt sich der Reinraum. Abluftschlauch, Niroster, Werkzeuge, … Patienten mit gebrochenen Gliedmaßen, das Holz gesplittert lehnen oder liegen. Bei einem dort gedrehten Musikvideo wurde die Assoziation zum Operationssaal in diesem Raum überdeutlich inszeniert. Weiter, an einem der überall unsäglich nach Büro aussehenden Schreibtische eine Darstellerin, viel älter als die Leserin im Lesesaal, eine lange reiche Biographie hinter sich. Die sie uns erzählte, verwoben in die Geschichte von Frauen im 20. Jahrhundert, eine Biographie des Frau-Seins. Angenehm stark erzählter Text, umso mehr aus dem Mund einer Laiendarstellerin. Bedächtig lauschendes Publikum, sich leise vorbeischleichend in den angrenzenden Dachboden.
Dort keine TänzerInnen, aber der Raum wie aufgeführt. Licht das den Raum auftreten ließ. Monitore deren Filme aus dem Dunkel leuchteten, deren Erzählungen sich mit aus dem Off, hinter Ecken hervorkommenden Texten verwoben. Ethnographische Berichte, das sonderbare geraubte Wissen und die Dinge die mitgenommen wurden. Sexualität der Tiere, Zooethnographie? Diese Erzählung an der Türschwelle zur Frauenbiographie gelauscht, sonderbare Überlagerung einer Geschichte des emanzipierenden Werdens und der autoritativen Sezierung des intimen Lebens im Tierreich.
Hinunter in den Keller. An Claudia Bosse in der Fotosammlung vorbei. Steile Treppen noch ein Stockwerk unter die Erde. Ziegelgewölbe und Boden, sonderbar feucht wirkend, weil lackiert. Eine Vitrine aus meiner Ausstellung, darin Haar, eine Perücke, ethnographisches Objekt - das Thema des Raumes, es war dem Weltmuseum entlehnt würde es nahelegen - ein Text aus der letzten Ausstellung über fotografische Raumerzeugungen im 19. Jahrhundert, über Tracht. Von am Boden liegender Tänzerin vorgetragen, sonderbare Verschneidung dieses körperverhüllenden Zeichensystems mit dem Rituellen und Gewaltsamen des gefilmten Schrumpfkopfes der an die Wand projiziert war.
Eine Etage weiter oben. Die Fotosammlung des Museums. Ein über hundert Jahre zurückreichendes Bildgedächtnis. Über 200.000 Objekte angehäuft. In Ordner und Schachteln gepfercht. Diese fast gewaltsame Aneinanderreihung, Pressung von anonymen Darstellungen, Menschen, deren Bild noch da war, die aber nicht mehr auffindbar waren, keine Aufzeichnungen wer all diese Porträts waren - auch wenn es harmlose Trachten- oder Alltagsdarstellungen waren - hatten Recherchen, Texte und Ausstellung zur Erzeugung von territorialen Vorstellungen über Bilder angeregt. In diesen Bildermassen und ihren Fragen Claudia Bosse. Bewegt und sprechend. Fragen aus diesen Materialien herausgezogen. Formuliert würde hier nur für den sprechenden schreibenden Kurator oder andere, die über Bilder sprechen gelten. Hier waren die Fragen aufgeführt, erhielten eine eigene eindringliche Präsenz in dem Raum in dem sie aufgeworfen worden waren. Schrieben sich anders ein und um als in jeder anderen Form in der sie auftauchen könnten. BesucherInnen die vom andächtigen Lauschen zum Blättern in sonst vergessenem Fotomaterial wechselten. Kurator und Direktor andächtig auf der Stiege - gell, das ist die Fotosammlungsdisko, die wir uns immer gewünscht haben. Bosse hatte dieser Sammlung etwas eröffnet, kritische Fragen wieder aufgebracht
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