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16.10.2009
"ICH BIN DER KRIEG, ICH MÖCHTE IMMER GEFÜHRT WERDEN"
Von Margarete Affenzeller
Premiere beim theatercombinat in der Ankerbrotfabrik: eine Multitragödie, in der von Aischylos bis Jelinek so einiges Platz hat. Die Premiere hat vor allem die Rolle des Publikums ausgebaut.
Wien - Die Lorbeeren für die Arbeit der letzten Jahre konnte sich das theatercombinat unlängst bei der Nestroy-Gala abholen. Da ging der Preis für die beste Off-Produktion (bambiland) an die 1996 in Berlin
gegründete und seit nunmehr zehn Jahren in Wien tätige Künstlerformation. In puncto Sprechkunst ist
das theatercombinat unübertroffen, und nicht nur deshalb hat sich die Gruppe um Claudia Bosse auch
international einen formidablen Ruf erarbeitet.
Berühmt-berüchtigt ist das Combinat aber vor allem für seine stets außerhalb gesicherter Theaterräume
stattfindende Kunst. So landen die formatsprengenden Performances in Remisen und U-Bahnschächten
oder auf städtischen Leerstellen. Für die Integralversion der im Rahmen eines vierjährigen
Tragödienzyklus entstandenen Dramen war nun die Expedithalle der ehemaligen Ankerbrotfabrik in Wien
Favoriten gerade groß genug. Premiere von 2481 desaster zone war am Mittwoch.
Regisseurin Claudia Bosse hat noch einmal an der Uhr gedreht und die Kriegsdramen aus der Serie "tragödienproduzenten" in die Zukunft geschickt, integriert in einem neuen Stück. In einer Gegend nach
allen Katastrophen der Welt, in der sich Überlebende frei durch Zeiten und Räume bewegen, treffen die
Redner von Aischylos auf Stimmen von Elfriede Jelinek; man muss das aber nicht Science fiction nennen.
"Ich bin eine Bombe"
Die nun ineinanderragenden Texte reichen von Aischylos' Die Perser über Shakespeares Coriolan, Racines
Phädra und Jelineks bambiland bis zu Sekundärmaterial etwa von Giorgio Agamben oder Seneca.
"Ich bin Theseus", sagt da einer im weißen Anzug und blonder Perücke. "Ich bin ein Laser-Pointer, ich bin
supergenau!" kontert bzw. durchkreuzt ein anderer die Mitteilung. Oder "Ich bin ein Märtyrer, der Schreck
jeder Party. Ich war schon in Afghanistan und in der BBC und so". Oder immer wieder: "Ich bin eine
Bombe. Ich bin scharf gestellt". "Ich bin der Krieg, ich möchte immer geführt werden".
Die über 2000 Quadratmeter große Fabrikshalle wurde mittels Kalkstaub in ein post-terrestrisches Territorium verwandelt. Der Boden - ein weißes Wüstenfeld, auf dem jede Bewegung ihre Spuren
hinterlässt, auch auf den handelnden Figuren. Sie alle sind am Ende mit Kalkstaub bedeckt, eine Folge
des Kämpfens, sich Verteidigens oder Fliehens.
Dem Publikum kommt in dieser dreistündigen Hybrid-Fassung eine spezielle Rolle zu: Es nimmt auf Stühlen Platz, die in Fünfergruppen auf schiebbare Rollflächen geschraubt sind. In solchen Sitzgruppen
werden die Zuschauer durch das Setting gerollt. Die Performer sind also nicht nur Theseus oder Bambi,
sondern auch noch Schubkräfte, die aktiv die Blickrichtung des Publikums immer wieder neu bestimmen.
Diese "lebenden Kamerafahrten" sind das Besondere an 2481 desaster zone. Sie eröffnen dem Aktions- und Wahrnehmungsraum dieser ineinandergeschraubten Multitragödie eine neue Dimension, in der sich
das Einzelwesen Mensch auch immer mit sich selbst konfrontiert sieht. Sie macht auch die Autorität
gesteuerter Blickrichtung erfahrbar.
http://derstandard.at/fs/1254311570853/2481-desaster-zone-Ich-bin-der-Krieg-ich-moechte-immer-gefuehrt-werden
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die presse, 16.10.2009
THEATERCOMBINAT: DIE QUAL HAT KEIN ENDE
Von Barbara Petsch
„2481 desaster zone“: Extremtheater in der Ankerbrot-Fabrik: sehr strapaziös, aber es hat was.
Wer die bisherigen Aufführungen des „theatercombinat“ gesehen hat, wird sich leichter tun mit „2481 desaster zone“. Denn die jetzige Performance in der Wiener Ankerbrot-Fabrik ist quasi das Resümee und der Kulminationspunkt des Vorangegangen: eine Komposition von Texten von Aischylos, Agamben, Jelinek, Racine, Seneca, Shakespeare u. a. Mit den „Persern“ von Aischylos, die vor 2481 Jahren entstanden sind und nun wieder rezitiert werden, hat 2006 der Höhenflug der Truppe unter der gebürtigen Deutschen Claudia Bosse begonnen; für „Bambiland“ von Jelinek bekam Bosse jüngst den Nestroy-Theaterpreis.
Aus weißen Zelten schälen sich nach und nach Menschen mit weißblonden Perücken in bizarrer Kleidung zwischen Minirock, Overall und Hasenkostüm. Sie stimmen einen mächtigen Sprechgesang an, der ein Kunstwerk für sich ist. Das einzustudieren muss eine Heidenarbeit gewesen sein. Vom ziemlich naiv glorifizierten Urzustand der Welt – ohne Macht und Mauern – mäandert die Erzählung vor und zurück, in Sprüngen oder langsam rollend wie eine Welle.
Flugzeugabsturz und Weltuntergang
Die Besucher sitzen auf Wagen und werden von den Akteuren umhergerollt, gelegentlich gibt es kleinere Kollisionen. Die Wirkung allerdings kommt nicht durch diese eher unbeholfene körperliche Simulation von Katastrophen zustande, sondern eben durch das Wort: genauso wie bei Jelinek, deren Sprachwitz deutlich und erfrischend hervorleuchtet, speziell im Kontrast zu den tonnenschweren klassischen Texten.
Dass man nicht alles versteht, was im Lauf des langen Abends gesprochen wird, ist nach dem Prinzip des babylonischen Turms vermutlich beabsichtigt; auch diese Methode ist von Jelinek-Aufführungen bekannt. Allerdings sind nicht alle Akteure gleich sprachmächtig. Die Kreation würde gewinnen, wären da durchgehend starke und vielseitige Sprecher. Insgesamt dennoch sehenswert: Ein kühner Wurf in Zeiten, da neue Texte oft eher oberflächlich das Bedürfnis nach Effekt und Überraschung bedienen. Was hinter der Katastrophenflut steckt, die täglich aus den Medien quillt – die echte menschliche Qual –, hier wird sie zumindest streckenweise direkt erfahrbar.
Was meint das Publikum? Toller Raum, toller Text, spirituelle Theatererfahrung, aber mühsame äußere Umstände: Kälte, lange Dauer. Eher ein Minderheitenprogramm für Hartgesottene. Zwei gingen vorzeitig, das ist wenig. Einige schliefen ungeniert. Das war kein Wunder. (bis 28. 10.)
http://diepresse.com/home/kultur/news/515360/index.do?_vl_backlink =/home/kultur/news/index.do
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schaufenster, 9.10.2009
CLAUDIA BOSSE: WACHMACHER
Von Christina Böck
Regisseurin Claudia Bosse inszeniert die ultimative Tragödie in der ehemaligen Ankerbrotfabrik und bekommt einen
Nestroy.
Noch mehr „off“ kann „Off-Theater“ eigentlich nicht sein. Claudia Bosse hat mit ihrem Theatercombinat schon U-BahnPassagen,
Remisen und den Schwarzenbergplatz bespielt. Sie hat Mühlviertler dazu gebracht, sieben Tage und Nächte aus der Bibel
vorzulesen und 100 Leute zu einer Stepp-aktion auf dem Wiener Maria-Theresien-Platz zusammengeführt. So ein ganz
normales Theater mit Bühne, Vorhang, Zuschauerraum, das interessiert die deutsche Regisseurin herzlich wenig. Und so wird
auch die nächste Inszenierung an einem unüblichen Ort stattfinden, und zwar in der ehemaligen Ankerbrotfabrik.
„Das ist eine einmalige Dimension“, sagt Bosse über die mehr als 2000 m² große, einst größte stützenlose Industriehalle Europas. Noch einmaliger wird sie freilich, wenn sie ganz in Weiß erstrahlt, selbst der Boden leuchtet kalt. Das subtil
Unangenehme passt, zeigt Bosse doch „desaster zone“. Da verschmilzt sie fünf Stücke zu einer Art ultimativer zeitgenössischer
Tragödie. Die fünf Stücke – „Die Perser“ von Aischylos, „Coriolan“ von Shakespeare, „Phèdre“ von Racine, „Bambiland“ von
Elfriede Jelinek und als i-Tüpfelchen „Bambi“ von Felix Salten – wurden alle vom Theatercombinat schon bearbeitet.
„Bambi“ als Einziges als Film – Menschen in Rehkostümen auf der Ringstraße, führt das nicht zu verwirrten Reaktionen? „Ja natürlich, erst kommt das daher wie ein Faschingswitz, aber wenn die Rehe Gesellschaftskritisches von sich geben, dann bringt
das deutliche Irritationen.“ Aber das ist ja auch, womit Claudia Bosse arbeitet. Der Zuschauer spielt eine wichtige Rolle: „Es ist
nicht so, dass man etwas zeigt, und das ist es dann. Der Zuschauer ist der Ort, wo das Theater erst Theater wird.“
Widerstand ist gut. Und dann gibt es noch dieses kuriose Mittelding zwischen Zuschauer und professionellem Schauspieler:
Auch mit Laien arbeitet Bosse gerne. Ob das nun Bürger sind, die zu Vorlesern werden oder zu einem 300-köpfigen Chor bei „Die Perser“, Bosse geht es nicht darum, „drollige Laien auf die Bühne zu stellen. So kann Theater eine andere Kraft
entwickeln.“
Kraft, die braucht man wohl auch, will man ein Projekt auf die Beine stellen, wie es Bosse mit „Bambiland“ heuer gelungen ist.
Jelineks Text beschallte da – über Lautsprecher auf Trolleys – Schwarzenbergplatz, Donaukanal und andere Orte. „Wenn man
bildende Kunst im öffenlichen Raum macht, ist ja so gut wie alles möglich. Aber sobald es um etwas Akustisches geht . . . Da
wäre es leichter, ein Haus abzureißen, als Literatur vorzutragen. Noch dazu von Jelinek, da hat man alle Aggressionen auf
seiner Seite.“ Obwohl, ganz ohne Widerstände würde es Bosse auch nicht freuen: „Konkrete Zwänge geben wieder Material für
die Arbeit, die machen wach dafür, in welchem Umfeld man sich bewegt.“
Dass sich Claudia Bosse für die Off-Szene entscheiden wird, war aber nicht von Anfang an klar. Ihr Regiediplom hat sie an der
Ernst-Busch-Schule in Berlin gemacht: „Da wird der Institutionsnachschub hervorgebracht, viele Kollegen leiten jetzt auch
große Häuser“, sagt die 40-Jährige. Doch in der Schweiz, in der die freie Szene viel selbstverständlicher agiert, weil es keine
Ensembles gibt, kam Bosse auf den Geschmack. Auch so mancher Tiefpunkt tat das Übrige: „Wenn man in einem Stadttheater
landet und der Animationsclown für frustrierte Schauspieler ist, dann ist das sehr unbefriedigend.“ Schließlich traf Bosse einen „klugen Menschen“, der ihr sagte: „Entweder du machst dich dem Theater passend oder du machst das Theater dir passend.“
Interessant findet Bosse jedenfalls, dass Matthias Hartmann nun das Burgtheater für Gruppen wie Jan Lauwers‘ Needcompany öffnet: „Da gibt es doch eine gewisse Impulsnot. Ich denke, wenn beseelte Menschen, die eine Haltung verfolgen, solche
Häuser leiten würden, wären sicher auch tolle Dinge möglich. Aber es ist vielleicht auch die Frage, warum nicht so wahnsinnig
viele solche Menschen in diese Positionen kommen . . .“
Für „Bambiland“ erhält Bosse den Nestroy-Preis für die beste Off-Produktion. Auch wenn sie das erst für einen Scherz gehalten
hat, freut sie sich natürlich. Obwohl es ihr lieber gewesen wäre, wenn die Verleihung nicht ausgerechnet zwei Tage vor ihrer
Premiere wäre . . .
http://diepresse.com/home/kultur/news/513720/index.do?
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