massakermykene

organisation des theatralen handels über die sprache

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  theatercombinat
MassakerMykene
Material 3

Die Veröffentlichungen, die zur Zeit alle drei Wochen stattfinden, sind als ein Teil der Arbeit unterschiedliche und einmalige Versuchsanordnungen. Weder ihre Zeitdauer noch die Fragmentauswahl und -abfolge wiederholen sich, so wenig wie sich die Physis der Spieler oder das Wetter drei Wochen später gleichen.
Zu einem Textfragment auf Glatteis Mitte Januar zu improvisieren, erfordert ein anderes Agieren, als bei Sonnenuntergang Ende August; so wie die Menge und das Verhalten von Zusehern den Raum und das Spiel je verschieden konstituieren.
Für die Spieler heißt das, daß sie zu Beginn einer Veröffentlichung nicht wissen, was das Wetter die nächsten Stunden macht, was der Zuseher die nächsten Stunden macht, welche Bewegungen und Gesten, welche Positionen die Mitspieler in den nächsten Stunden ansetzen bzw. einnehmen werden, welche Räume, Texte und damit Rhythmen von C.B. von Außen eingeworfen werden, auf die Improvisation der Spieler reagierend, diese herausfordernd.
Was den Spielern bleibt, ist das in den Proben erarbeitete Material, mit dem sie auf die wechselnden Rahmenbedingungen einwirken, diese benützend und, wenn möglich, verändernd.
Der unten angeführte Ausschnitt von Beschreibungen, eine Fortführung des MassakerMykene Material 2, spiegelt den Arbeitsstand zum Verhältnis Text und Agieren wider, bezogen auf das Fatzerfragment:
Inwieweit strukturiert die Form des Textes das Handeln der Spieler? Macht die Aktion den Text  möglich, oder gibt der Text den Rahmen für Bewegungen, Aktionen, Rhythmen? Ist das  Verhältnis vom Rhythmus der Sprache - oder wie sie gesprochen wird -  kontrapunktisch oder ident mit dem Rhythmus der Bewegung?
Auch dieser Stand wird in drei Wochen ein anderer sein. Er dient als Diskussionsgrundlage, an der wir Sie einladen, sich zu beteiligen.
Das Arbeitsjournal wird fortgesetzt.

Wie strukturiert das Sprechen einen Vorgang?
Beim Fatzer-Vers-Sprechen behauptest du, was du sprichst; dies baut das nächste auf und steigert sich so fort, da ist vor dem Ansetzen des Sprechens nichts zu ordnen; deshalb ist es auch so schwierig, wenn man eine Zeile weitaus tiefer ansetzt, als die vorangegangene. Du stoppst dich selber und schreitest schwer fort. Oft fühle ich mich vom Text getrieben, dann kämpfe ich mit ihm, meine Waffe ist eine zusätzliche persönliche Strukturierung, vielleicht kommt daher diese "Melodie" beim Sprechen. Ich traue diesem Brecht-Fragment noch nicht ganz, scheint mir, sonst würde ich vielleicht nicht so stark selber komponieren, statt jedes Wort gleichwertig zu nehmen, einem aufgeschriebenen Gestus vertrauend, dem, der sich durch das Sprechen zeigt. Kann ich das überhaupt selbst beurteilen? 
 A.P. 08/99

Als erstes natürlich über den Atem (also physisch). Wir sprechen auf "Punkt und Beistrich", ein Versuch den "Atem" des Autors anzunehmen. Dieser Sprechrhythmus differiert von Fragment zu Fragment. Wichtig dabei ist, daß ich im Sprechen genau bin. Es braucht von vornherein eine klare Entscheidung darüber, ob das Tun (Geste, Haltung oder Vorgang) das Sprechen dominiert oder umgekehrt. Nur wenn ich vom Sprechen ausgehe und dem daraus folgenden Rhythmus (Atem - Atemlosigkeit - Verhältnis Sprache - Stille usw.) exakt nachgehe, zeigen sich vielleicht unterschiedliche Möglichkeiten von Agitation.
Völlig ungeklärt bleibt dabei noch, wie komme ich in andere physische Formen (andere, als das Sprechen selbst), ohne einer plakativen Illustration aufzusitzen. Problem der Genauigkeit einer Geste usw.
Wenn ich mich dafür entscheide, eine Geste, einen Vorgang oder eine Haltung zu setzen, aus der heraus dann das Sprechen des Fragmentes folgt, muß diese Geste/Vorgang/Haltung extrem sein, daß ich, um die Sprechgenauigkeit (Satzzeichen, Zeiten usw.) zu gewährleisten, den Widerstand spüren d. h. damit arbeiten kann. Ich arbeite dann im Glücksfall mit zwei unterschiedlichen Rhythmen, nämlich dem, der vom Sprechen her kommt und dem, der aus der Aktion im Raum mit anderen kommt.
Der Sprechvorgang gleicht einem ständigen Ringen in diesem Vers/Rhythmus -Panzer um die Freiheit zu sprechen, was ich spreche, d. h. zu meinen was ich sage und zwar genau in dem Moment des Sprechens. Wie kann sich dieser "Kampf" spezifischer an meinem Körper zeigen?
A.R.

Geht man weg davon, daß man sagt, es möge einem etwas gelingen, sagt man, man hätte die "Textstruktur" z.B. von Fatzerversen, durch z.B. bloßes Lernen soweit intus, daß es nicht die Textstruktur ist, woran man denken muß beim Sprechen (lernt man doch eigentlich einen "Gedanken", wenn man meint, man "lernt Text"), was könnte einem dann gelingen mit Text und Handeln?
Wird unglaublich viel Konzentration verwendet, die Struktur des Textes korrekt wiederzugeben, also diesen Gedanken zu denken (und nicht aus den verschiedensten Gründen einen eigenen Gedanken daraus zu machen, mit einer anderen Struktur), passiert es, daß das Sprechen an Qualität gewinnt; aber wieviel Konzentration kann man dann noch auf z.B. Genauigkeit, Flüssigkeit der eigenen Bewegung legen?
 Ich denke, daß einiges von dem, was wir alles ständig gleichzeitig versuchen, immer intuitiv entschieden wird, "einfach passiert". 
Die Frage, inwiefern die Textstruktur mein Handeln bedingt, hat mich anfangs verwirrt, weil ich nunmehr doch seit Monaten denke, wir arbeiten gerade daran, daß man dahin kommt, das zu trennen, also, daß es eigentlich nicht "gut" ist, wenn das eine das andere bedingt.
T.S.

Zu (Fatzerfragment) A 19, wo ein Spieler einen der vier Textabschnitte von außen als Kommentar spricht:
Je klarer die Konstellationen im Raum sind, desto gefestigter und präziser kommt der Text, was innen wiederum die Spielstruktur festigt, da ich klar mit oder gegen den Sprechrhythmus arbeiten kann.
Entsteht allerdings keine klare Spielstruktur, so kann ich mich nicht erinnern, daß es dem Kommentator gelungen wäre, durch sein Sprechen eine Linie in das Spiel zu bringen. Im Gegenteil, seine Unsicherheit überträgt sich auf das Spiel.
Der Kommentarsprecher muß je nach Situation entscheiden: bleibe ich nah am Spiel, kommentiere ich die Bewegungen direkt, oder lasse ich sie außer acht und setze etwas völlig anderes dagegen. Das eine mal kann der direkte Kommentar eine Situation antreiben, sie auf einen Punkt bringen, das andere mal kann er eine zerfahrene Konstellation noch mehr auflösen. Desgleichen verhält es sich beim konsequenten Kontrapunkt-kommentar: er kann das Spiel ordnen oder er kann ohne jegliche Verbindung bleiben.
A.P.

Anfangs die Überlegung, wieviel ich eigentlich von eben jener Textstruktur weiß, ich meine über die Tatsache Tragödie/Fragment mit/ohne Einheit Ort/Zeit/Handlung hinaus. Lesend wird kaum etwas faßbar - aha, da jetzt ein Komma an seltsamer Stelle - aber es tut bei mir nicht wirklich Wirkung. Wüßte ich nicht wie ihr sprecht - allein sprechend wie zum ersten mal, spräche ich wie ich denke, überginge ich wahrscheinlich die Struktur. Also
immerfort der Versuch: Lernen an euch.
Hörend wie ihr sprecht, schwer zu greifen: Intonation, Rhythmus - was macht das mit dem Text, wie verstehe ich das inhaltlich, emotional, körperlich. Manchmal rauscht der Text von euch gesprochen an mir vorbei, weg und vielleicht bleibt nichts. Anderes Mal bin ich wie blöd, weil ich's zum festhalten schön finde, und woran das gelegen haben kann, ist mir meist schleierhaft und ich will dann auch nicht gleich darüber nachdenken, tu ich's doch ist alles vorbei und ich tu's oft. Auch vorgekommen: ich höre euch, unantastbar, kraftvoll und verwegen und die Worte werden es durch euch und oft verstehe ich dann mehr. Manchmal bin ich verwirrt bis zur absoluten Denkunfähigkeit.
Wie würde ich was sprechen, allein oder im Chor oder allein im Chor. Spreche ich allein, ist die Struktur für mich vor allem insofern bemerkbar, als daß es sich so schwer spricht, noch schwerer als es sich hört. Wahrscheinlich ist das auch stark mit den Verständnisschwierigkeiten inhaltlicher Art gekoppelt - ständig das Gefühl, die Dimension des Gesagten nicht wirklich zu fassen. Außerdem das Wissen um die sprechtechnischen Probleme, Selbstkontrolle, Angst usw. Manchmal scheint es unmöglich: das Wort aus dem Hirn durch die Zunge über die Lippen. Vielleicht muß es woanders her, das Wort, als aus dem Hirn.
D.U.
 
Die Dialog- oder Prosatexte in Fatzer lassen mir mehr Spielraum für den Bewegungsapparat als die chorischen Textteile (Fatzerfragment B 21). Mir scheint, daß wir in den Improvisationen von Szenen und Prosa-Fragmenten näher an eine Chorstruktur herankommen als in den sogenannten chorischen Fragmenten. Die Durchführung einer gemeinsamen Bewegung durch die Agierenden (wie das langsame Gehen bei  B 21 aber auch z.T. in der Orestie) erzeugt in den wenigsten Fällen dieselbe körperliche und damit sprachliche Spannung (Energie). Das hat sicher auch damit zu tun, daß sieben Leute mit unterschiedlichen Erfahrungen und damit mit einem unterschiedlichen Körpersprachbewußtsein diese chorischen Teile durchführen. Wie man diese biografisch-biologischen Unterschiede bearbeiten kann, weiß ich nicht.  - Zudem passiert es mir des öfteren, daß je körperlich näher wir uns im Raum sind und eine gemeinsame Bewegung durchführen ( B 21), ich um so weniger die anderen wahrnehme. Die körperliche Nähe und die scheinbar gemeinsam durchgeführte Bewegung lähmen meine Wahrnehmung für die anderen. Ich werde wahrnehmungsfaul und damit chorunfähig.
M.K.

Der Chor sieht nicht gut und hört nicht gut, weil er alles und alle hören und sehen will. Dieser Wille zwingt einem eine bestimmte Haltung auf, die meist geduckt ist und eng. Wie kann man diese Angst sich zu verlieren abbauen.
A.R.

Ich habe kein "Gefühl" für die Wichtigkeit meines Sprechens und Agierens für die Mitspieler.
Die Konsequenz ist so wenig spürbar, ich begebe mich nie wirklich in Gefahr und gefährde auch nie wirklich die anderen.
Ich sehe mich gezwungen zu sprechen oder körperlich zu reagieren, wenn es von mir her notwendig ist, bei direkten Konfrontationen, bei festgelegten Anordnungen wie Fatzerfragment B28, oder bei großen Gesten wie (lautes) immer wiederholendes Sprechen einer Textstelle, eine durch Anfang und Ende klar ersichtliche Bewegung oder durch deren Wiederholung oder Abwandlung.
Wenn ich bei einem Spieler aber nicht erkennen kann, woran er arbeitet, dann kann er neben mir vorbeigehen und es geht mich nicht sehr viel an, oder er spricht die vorgegebene Textstelle und ich kann nicht gut zuhören, geschweige denn reagieren.
Beim Strukturieren der Kommunikation über das Sprechen verhält es sich wie bei der Geste: wenn es nicht den Raum bestimmen will, bleibt es geschlossen und nur bei sich.
Bei der Geste spielt das Problem der Sichtweite mit hinein, ich kann einfach unmöglich ständig alle sehen. Deshalb ist es so schwer für mich zu reagieren, wenn jemand für längere Zeit "weg" war, wie bei Fatzer Fragment A15, wo auch das Sprechen nicht mehr gehört wird und damit den Raum und die Zeit nicht mehr strukturieren kann. Wir kommen zum nächsten Fragment zusammen und ich sehe rein gar nichts, alles beginnt wieder von vorne (auch ein Problem unserer Fragmentwechsel, wie zuletzt besprochen).
Hier kommt das Problem der Freiheit, Verantwortung bzw. Verantwortungs-losigkeit den anderen gegenüber zum tragen, eine Chorfrage also.
A.P.

Stand 23.1.2000


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