zurück zur projektseite von dialogue on difference

– juri zanger
– ines kaiser

 

1. Ich wusste, bevor ich in den Abend gegangen bin, fast nichts über Kairo und die Situation vor Ort, außer dass es eine Situation gibt. Man hat ja was von Mubarak etc mitbekommen, gefiltert durch westliche Medien. Hab nach dialogue on difference einiges nachgelesen, weil die Performance mein Interesse geweckt hat.

2. Der Bruch des linearen Denkens durch die Verbindung von Städte-Biografien zu Personen-Biografien, das im Raum erleben können ohne ein bloßes Rezitieren von Fakten sondern vielmehr ein ehrliches, direktes Unterhalten über eure Verhältnisse zueinander, zu den Städten und euren Biografien, war für mich lehrreich, hat mein Begreifen erweitert.

3. Die Übersetzung von Biografie in ein körperliches Verhältnis (also zum Beispiel Abdalla an der Wand, oder du mit deinen körperlichen Zügen durch den Raum und auch von Stadt zu Stadt, noch mehr sogar eure körperlichen Verhältnisse zueinander und das Ende in dem Zusammenhang) hat für mich gewirkt wie eine teils muskuläre und teils knochige Verarbeitung von Vergangenheit. War gerade deswegen für mich so wertvoll, weil ich im Raum das Gefühl hatte, nicht auswendig gelernte Choreos zu sehen sondern mitten drin bei der Entwicklung dabei zu sein.

4. Die Stelle mit deiner Großmutter hat mich irrsinnig berührt, über die Kerben in der Haut Zugang zu Erlebtem von einem Menschen zu erlangen, dieser Gedanke hat was ausgelöst.

5. Die Musik war wieder unglaublich gut. Hatte teils das Bedürfnis, selbst mitzugehen mit der Körperlichkeit, selbst mitzukämpfen gegen konstruierte politische Verhältnisse vor Ort.

6. Es ist für mich hochspannend, wie anwesend du im Raum warst. Davon kann ich glaub ich viel lernen. Dass du einfach dein Schuhband zubindest, weil du bemerkst, dass es offen ist (super Moment), zeigt mir, wie offen deine Wahrnehmung im Raum sein muss, hab davor viel Respekt. Und das spürt man eben auch, wenn du und oft auch Abdallah gesprochen haben. Man hatte das Gefühl von Dialog und war nicht passiv im Raum um einem Vortrag zuzuhören.

7. Dem Publikum am Anfang einen Einfluss zu geben durch die Fotografien in ihren Händen, die sie ja dann halten, dabei Richtungen ändern oder frei am Boden positionieren positionieren, super Idee. Während zb Thomas wirklich lange seinen Arm hochgehalten hat und unsicher gewirkt hat, ob es gerade überhaupt erlaubt ist das hinzulegen, waren andere Menschen völlig selbstsicher im Positionieren, Publikum wird zum Akteur der Perspektive auf die Städte auf den Fotos, holt die Ehrlichkeit der Akteure zurück, die ja sonst immer so tun, als hätten sie mit nichts etwas zu tun.

8. Danke für die Mehrsprachigkeit. Halte die national-bürgerlichen deutsch-deutschen Theatervorstellungen nicht mehr aus. Sprache ist Perspektive und Erfahren, und genau das fehlt andernorts.




– juri zanger
– ines kaiser
 

Wir werden gebeten den Theatersaal des Kosmostheaters oben zu betreten. Nach der kurzen Einweisung, dass wir uns während der gesamten Performance frei bewegen dürfen, betreten wir die Tribüne. Der Saal ist mit einem weißen Vorhang abgetrennt. In der Mitte der Tribüne liegen Claudia Bosse und Abdalla Daif auf dem Boden. Sie sind körperlich miteinander verbunden, bilden beinahe etwas wie einen menschlichen Kreislauf. Die Zusehenden betreten nacheinander den Saal, die meisten setzen sich davon erst einmal auf die Stufen.

Als sich die Türen schließen und „Dialogue of Difference“ beginnt, beginnen die beiden auf dem Boden Liegenden zu atmen und zu pulsieren, wachsen und bewegen sich. Anschließend steht Abdalla Daif auf und beginnt zu sprechen. Er erzählt von geschichtlichen Hintergründen in seiner Heimat in seiner Muttersprache. Auf dem weißen Vorhang erscheint dabei eine englische Übersetzung. Es geht um kulturelle Aneignung und Theater im nahöstlichen und im europäischen Raum. Bereits der erste Teil ermöglicht einen Einblick in die Thematik und erleichtert den Einstieg in die Performance.

Währenddessen bewegt sich auch Claudia Bosse durch den Raum. Ehe man sich versieht steht sie ganz unten an der Tribüne, und hinter dem Vorhang lässt sich ein hell erleuchtete Bühne erahnen. Sie dreht sich um und blickt zu den Zusehenden, lädt diese auch ein, ihr zu folgen. Die meisten zögern zuerst, gehen aber dann doch mit.

Hinter dem Vorhang wartet ein weißer, beinahe leerer Raum. Er wirkt beinahe steril und regelrecht kalt. Die Beleuchtung ist hell und gleichmäßig und bietet keinen Platz, sich zu verstecken. Claudia Bosse fängt an, auf dem Boden liegende Rollen vom Boden aufzuheben und auszubreiten. Schwarz- weiße Fotos von Architektur wird sichtbar. Sie berichtet auf Englisch von den geschichtlichen Hintergründen und Orten der Architektur. Obwohl die Gebäude darauf wie aus dem arabischen Raum wirken, sind diese in ganz Europa verteilt. Die unterschiedlichen Fotos werden Zusehenden in die Hand gedrückt, die damit Teil der Performance werden. Der Raum wirkt wie eine Kunstinstallation und durch die Haltenden wird diese auch bis zu einem gewissen Punkt fast schon menschlich. Es entsteht ein Bruch zwischen den historischen statischen Gebäuden und den Menschen, die in der Gegenwart deren Bilder halten.

Abdalla Daif durchquert währenddessen den Raum, und bewegt sich auch zwischen den Zusehenden, die sich träge im Kreis formatiert haben. Durch die Nähe weichen viele der Menschen zurück oder schauen weg. Sie werden Teil der gesamten Performance. Claudia Bosse und Abdalla Daif beginnen sich zu bewegen, Abdalla Daif zuerst ganz klar, beinahe starr. Claudia Bosse hingegen ist eher weicher in ihren Bewegungen. Die beiden halten immer eine Verbindung durch ihre Blicke. Es scheint wie ein Dialog, der zwischen ihnen entsteht. Irgendwann tauschen auch die beiden die Bewegungsqualitäten aus, übernehmen von der anderen Person. Manchmal sind sie sich räumlich sehr nahe, manchmal fern. Sounds von Günther klingen dazu durch den Raum, und tragen wesentlich zu der Stimmung bei, und bilden einen schönen Nährboden für die Bewegungen und generell für die gesamte Performance.

Es geht nicht nur um allgemeine gesellschaftliche Themen, wie Gleichstellung und Behandlung von Frauen, sondern auch um private Geschichten, der beiden Darstellenden. Dadurch werden Parallelen der beiden Kulturen erschaffen. Oder eher sogar eine Verbindung. Einmal lehnen sich die beiden auch körperlich aufeinander, stützen und tragen sich gegenseitig. Sie übersetzen sich gegenseitig von Deutsch und Arabisch auf Englisch. Nehmen manchmal die Geschichte des anderen an, und manchmal erzählen sie von sich selbst. Dadurch entsteht ein Dialog, der eher auf Gemeinsamkeiten, als auf Unterschiede beruht. Es geht um eine Verbindung, die obgleich Distanz und Unterschiedlichkeit immer besteht.

Die Performance endet wie sie begonnen hat: Auf der Tribüne. Die beiden sind körperlich wieder miteinander verbunden. Jedoch dieses Mal in raschen Bewegungen. Eine Transformation hat sich vollzogen. Der Vorhang ist nun auch geöffnet, und nicht nur räumlich hat sich in diesem Moment ein neuer Ort erschaffen.




www.theatercombinat.com theatrale produktion und rezeption